Die Schreibende und ich 15

Ein Regentag. Die Schreibende kommt nach Hause.

ich: Hey, ich habe ganz vergessen, dir gestern zu sagen, dass ich noch etwas herausgefunden habe über uns.

die Schreibende: Du hast etwas über uns herausgefunden? Hat jemand einen Eintrag über uns geschrieben in Wikipedia?

ich: Haha. Da sind wir eher nicht gefährdet, ich habe etwas herausgefunden über das, was ich dachte, was wir machen: einen Blog schreiben. Als ich neulich davon erzählte, wurde ich eines Besseren belehrt. Ein Blog sei interaktiv, man würde auf eine Schreibimpuls reagieren und Kommentare, die kommentiert werden verfassen und so weiter. Da konnte ich nur mit den Schultern zucken, sagte, ich dachte, ein Blog sei, etwas regelmäßig auf einer Website zu veröffentlichen. Nein, nein, das sei kein Blog, das sei eine Website, auf der ich regelmäßig etwas hochladen würde, das hätte mit einem Blog nichts zu tun, bekam ich zur Antwort. Also dann, dachte ich leicht beschämt, sollte ich mich vielleicht nochmal damit beschäftigen, welche Kriterien zu erfüllen sind, wenn ich einen Blog schreibe.

die Schreibende: Und? Was hast Du herausgefunden?

ich: Das interessanteste fand ich, dass Blog die Abkürzung von Web-Log, einem im Internet öffentlich gemachten Tagebuch ist. Also das persönliche Logbuch, dessen Einträge Posts heißen und das von Microblogging Plattformen wie Twitter oder Instagram abgelöst wurde.

die Schreibende: Mit deiner Ambition monatlich etwas zu posten bist du wahrscheinlich außerhalb der üblichen Fütterungsrituale der Blogger und natürlich mit einem Blog auf einer Website auch altmodisch, deine Kinder würden abwinken.

ich: Ja, zudem muss ich gestehen, dass ich mich überhaupt nicht an dem netzwerkenden Geschehen beteilige. In homöopathischen Dosen lese ich andere Blogs, bin manchmal bewegt, berührt, inspiriert. Meist freue ich mich aber über meine analogen Gruppen von Autoren und schreibenden Menschen, mit denen ich mich austausche und denke, das reicht.

die Schreibende: Also, lassen wir es oder was?

ich: Nein, im Gegenteil. Wir plaudern noch ungehemmter darauf los, oder?

die Schreibenden: Um die zu quälen, die deinen Blog abonniert haben? Hast du mir nicht gerade noch erzählt, dass du einen interessanten Foto Blog wieder abbestellt hast, weil es drei bis vier Mal in der Woche neue Beiträge gab?

ich: Ja, stell dir vor, es gibt Blogger, die haben eine Einstellung, dass unser neuester Beitrag immer gleich mit einem Like, einer Zustimmung versehen wird, was wieder dazu führt, dass du als Leserin für deren Blog beworben wirst. Also es geht um Wege, möglichst viele Follower zu bekommen, so heißt es ja jetzt bei Instagram und co. Dann kannst du auch noch Werbung dazwischenschieben und mit deinem Blog Geld verdienen.

die Schreibende: Ach, bitte keine Kapitalismuskritik jetzt. Ich finde, wir können uns an dem Logbuch orientieren. Ich habe nämlich ein neues Format. Nicht mehr mein Tag in sieben Sätzen, sondern sieben Absätze beginnen mit Ich habe Zeit. Ich sag dir, das ist phänomenal, das Leben auf diese anachronistische Art zu feiern. Pass auf, hier kommen meine Einträge für gestern:

Ich habe Zeit, Ingwer für den Porridge klein zu schneiden und die würzige erfrischende Schärfe schon über meine Fingerkuppen aufzunehmen, die das Ingwerstückchen halten.

Ich habe Zeit, die kleinen Tupperdosen in den verschiedenen Schubladen und Schrankfächern zu suchen, um mal wieder auf dem Markt Streichcremes zu kaufen.

Ich habe Zeit den Schnabel zu erkennen, in der Tulpe, die mir in der Vase ihren Kopf auf dem Küchentisch zuneigt. Es ist ein geschwungener prächtiger Schnabel, ganz in rot. Sie flüstert mir zu, dass es nichts Schöneres gibt, als zu erblühen. „Erblühe, verschenke dich, verströme dich, gib dich hin, freue dich an deiner Schönheit“.

Ich habe Zeit mein Gesicht mit Reinigungsmilch zu waschen, belebend, im Anschluss Gesichtswasser aufsprühen, prickelnd, Happy Aging Gesichtscreme auf Stirn und Wangen mit dem Zeigefinger tupfen und mit der Hand verstreichen, nährend.

Ich habe Zeit, die alte Brotpapiertüte in die Satteltasche zu stecken. Am Marktstand mit den Dinkelbackwaren verkauft der Bäcker selbst. Das letzte Mal hat er mir erklärt, wie sein Amaranth Dinkelbrot so fluffig und feucht bleibt. Mir hat es geschmeckt und ich kaufe es wieder, krame meine zerknitterte Papiertüte heraus: „Hier, die habe ich heute mitgebracht, da brauche ich keine neue“, sage ich entschlossen. Vielleicht fragt er sich auch, was ich für ein Problem habe, als ich ihm die Papiertute hinstrecke. Aber nein, er nimmt sie entgegen und sagt strahlend, als hätte ich ihm ein Geschenk gemacht, „ich schenke dir ein Nussbrötchen, das kann ich zwar nicht jedes Mal machen, aber heute.“ Das nenn ich mal positive Verstärkung. Ich freue mich doppelt.

Ich habe Zeit, den Regen durch den Stoff meiner Hose auf meinen Beinen zu spüren, während ich mit dem Fahrrad durch die Pfützen fahre, zu denken, die Natur freut sich und ich mich auch. Ab in die Sonne ist out.

Ich habe Zeit, obwohl knapp dran, auf dem Weg zur Arbeit mir einen Cappuccino aus dem Automaten im Bioladen zu lassen. Nie ohne meinen Kaffeebecher, meine Devise. Der Milchschaum ist lecker, den ich mir von den Lippen lecke.

ich: Na, da hast du ja ganz schön vorbildlich dich in Szene gesetzt.

die Schreibende: Wieso? Darf ich mich nicht über meine Alltagserfolge freuen? Auch Recycling von Papier kostet Energie, die es nicht braucht, wenn ich die Tüte einfach wieder benutze.

ich: Damit rettest du die Welt sicher nicht.

die Schreibende: Es geht um mein Lebensgefühl, sweet heart, nicht darum, die Welt zu retten. Es fühlt sich auf eigenartige Weise befreiend an, Müll zu vermeiden. Es ist ähnlich wie beim Rucksackreisen, wo du dich zwangsläufig auf das Wesentliche beschränken musst. Es ist einfach ein gutes Gefühl, nicht soviel überflüssigen Verpackungsmüll in der Wohnung herumfliegen zu haben, der wieder entsorgt werden muss. Du kannst mich jetzt auslachen, aber ich kann spüren, dass es mir besser geht, wenn ich Konsumentscheidungen treffe, wenn ich Produkte und Nahrungsmittel kaufe, die unter halbwegs bewussten Bedingungen produziert wurden. Es hängt einfach alles mit allem zusammen. Mich zieht nichts mehr in einen normalen Supermarkt und ich finde Plastikverpackungen zunehmend unangenehm.

ich: Hola, die Waldfee, da bist du ja ziemlich wachstumsfeindlich, wenn du nur noch so bewusst, quantitativ reduziert und qualitativ hochwertig unterwegs bist.

die Schreibende: Genau, die Wirtschaft muss sich dann neue Konzepte ausdenken, als auf Wachstum zu setzen. Aber das ist ja nochmal ein ganz anderes Feld, das du betrittst, wenn du mich als wachstumsfeindlich bezeichnest. Mir tut es auf jeden Fall gut und es geht mir wunderbar.

ich: Aber mal zurück zu deinem Logbucheintrag für heute.
Ich habe Zeit, Dir zuzuhören und dich insgeheim dafür zu schätzen. Danke.

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