die Mutter

Ich versuchte einen Umgang.

Im Jahresbericht 1991 für die Studienstiftung schrieb ich:

Weihnachten unter einem anderen Stern. Kein selbstverständliches Zusammenkommen mehr. Meine Mutter darf für diese Tage aus dem Krankenhaus. Ein Geschenk. Rilke wird ebenfalls zum Geschenk:

SCHLUSSSTÜCK

Der Tod ist groß
Wir sind die Seinen
lachenden Munds
Wenn wir uns mitten im Leben meinen
wagt er zu weinen
mitten in uns

RAINER MARIA RILKE

Der offene Umgang. Schmerzhaft. In Dankbarkeit werden die sich erneuernden Perspektiven gelebt. Bewunderung für meine Mutter.“

Der Jahresbericht 1992, der begann so:

„Es fällt mir schwer. Es fällt mir schwer über dieses Jahr zu berichten. JAHRESBERICHT. Das Berichten fällt mir schwer. Ich könnte berichten über das Jahr, als sei nichts geschehen. Ein Ereignis unter anderen, der Tod meiner Mutter. So könnte ich also berichten. Aber es war etwas Anderes. Es war ein Jahr im Angesicht und im Schatten des Todes. Des persönlich erlebten Todes. Das Erlebnis eines grausamen Sterbens.“

„Was mache ich nun mit der Betroffenheit, mit meiner Betroffenheit am Anfang dieses Berichts? Ich lasse sie stehen.“

Fünf Wochen lang, ich habe es nicht für möglich gehalten. Die Erfahrung wirkt fort. In Träumen nachts, in Ängsten, in meinen Gedanken und Hoffnungen.“

Ich stelle mir vor, wie du die Wohnung verließt und wusstest, dass du nicht mehr zurückkehren würdest.

Sie packte ihren Koffer wohl wissend, dass sie nicht mehr wiederkehren würde. Diese Gewissheit war groß, sie versuchte vergeblich sie zu fassen, während sie durch die Wohnung lief, in der sie die letzten 27 Jahre gelebt hatte. Ihr Mann würde sie in eine Kurklinik fahren. Daran hielt er sich fest. Ihm zuliebe packte sie sie ganz nach unten in den Koffer, die Gewissheit. Würde die bewilligte Kur zum Sterben reichen? Sie schob den Gedanken weg. Sie legte die Nachthemden sorgfältig auf die Unterhosen, Socken, die festen Schuhe in einer Plastiktüte. Die festen Schuhe wollte sie noch mitnehmen. Noch. Es blieb unvorstellbar. Die letzten Monate und Wochen, in denen sich die Gewissheit aufdrängte, wie eine zweite Haut, die sie nicht mehr abstreifen konnte. In dieser Haut hatte sich das Narbengewebe der Erinnerungen verewigt. Wie gut, dass sie es zu verbergen wusste. Zu. Am liebsten auch vor sich selbst. Nur manchmal drängten sich die Bilder auf. Zwischen dem Lächeln, dass über ihre Lippen kam. Schamhaare abrasiert, abgeführt, unterschrieben. Ein drittes Mal. Der Chefarzt. Doch kein drittes Mal mehr.  Im anderen Krankenhaus dann doch. Zwei Hosen, drei Blusen, der Anorak kommen noch oben auf den Koffer. Sie hatte oft Koffer gepackt. Es ging ihr leicht von der Hand. Mit einer Checkliste. Die braucht sie diesmal nicht. Familienreisen, die vielen Wochenenden in ihrem Heimatdorf im Spessart, jetzt, als die Kinder aus dem Haus waren, Reisen mit ihrem Mann. Sie war froh, dass sie die Gewissheit ganz unten in ihrem Koffer verstaut hatte. Sie würde sich nicht ausmalen, dass das ihre letzte Reise wäre. Sie goss die Blumen und zupfte die verblühten Geranien ab. Die treuen Begleiter. Geranien, rot und rosa, in voller Blüte. Je zwei Kästen an den Querseiten und drei Kästen an der Längsseite des Balkons. Im Keller überwintern sie alljährlich. Wie der Balkon sich seit 1965 verändert hatte. Ihr Blick fiel auf die prächtige Trauerweide, an der Ecke Brommstraße/Jakob-Heller Straße. Dort im Westen sah sie die Sonne untergehen, wenn sie abends auf dem Balkon saß. Alles ist heller und lichter geworden, dachte sie. Sie hatte ihre to do Liste auf dem Schreibtisch abgearbeitet, den Rentenversicherungsbescheid eingesteckt. „Nein, Angehörige können nur auf eigene Kosten mit untergebracht werden“. Sie schloss ihren Koffer, bevor die Gewissheit sich aus der Wäsche hervor wühlen könnte. Sie drehte am Zahlenschloss, das am Kofferdeckel angebracht war. Der gute grüne Samsonite. Sicher ist sicher. Persönliches? Nein, Persönliches hatte sie nicht eingepackt. Bücher, die sie lesen wollte. Es gab nichts, woran sie sich festhalten konnte. Es gab nichts, woran sie sich festhalten wollte. Ihr Mann trug den Koffer nach unten. Sie zog die Wohnungstüre zu und schoss ab.

Näher herangezoomt, an die junge Frau heran.

Der Raum hatte zwei Fenster, die sich nach Westen hin auf eine kleine Straße öffneten. Das Zimmer war spartanisch eingerichtet. Auf dem Boden lag ein aufgerolltes Futon, Apfelsinenkisten als Regal, eine Kommode, ein Tisch, zwei Stühle. Eine junge Frau sitzt am Tisch und schreibt:

In die junge Frau hinein.

26.06.92

Mama. Hommage à ma mère . Ich sehe es ganz deutlich vor mir, mein Kunstwerk für Dich. Die 2 mal 2 Meter große Holzplatte, besprüht in vier Farben, in Deinen Lebensfarben. Deine Hochzeitsschuhe und noch drei andere Paar Schuhe aus unterschiedlichen Lebensabschnitten. Ich freue mich auf Deine Geschichten zu den Schuhen. Ich werde jedes Paar Schuhe einen ganzen Tag lang anziehen. Ich werde diesen Tag lang Dich in diesen Schuhen leben. Ich werde diese Schuhe skizzieren. Ich werde Deine Geschichten zu diesen Schuhen aufschreiben. Dann werde ich wissen, wie diese vier Paar Schuhe auf diese zwei Mal zwei Meter große Holzplatte müssen. Dies will ich für uns tun Mama und ich freu` mich unendlich darauf. Und diese Hommage werde ich mir dann in mein Zimmer stellen. Ich werde mir ein Mal – und Skizzenbuch kaufen. Ich bin begeistert von meiner Hommage Idee.

Ein Kammerspiel war es.

Es fällt Vormittags Licht in das Zimmer durch ein Fenster an der Stirnseite. Das Zimmer ist schmal, zwischen dem Krankenbett und dem Beistellbett steht ein kleiner Tisch am Fenster. Der Raum öffnet sich etwas in Richtung Eingangstüre, eine weitere Türe führt in ein fensterloses Badezimmer, es gibt mehrere Einbauschränke. Sie stellt ihr Gepäck ab und beginnt sich einzurichten. Mal- und Schreibsachen stapelt sie auf dem Tisch. Einige Bücher stellt sie auf ein an der Wand befestigtes Sideboard, an dem auch das Licht angebracht ist. Das Zimmer ist in dem Neubautrakt untergebracht. Es ist eine Geräuschkulisse von tätigen Handwerkern im Hintergrund. Sie setzt sich an den Tisch und schaut nach draußen. Sie greift ihr Tagebuch und macht eine kurze Notiz.

21.07.

Mama, ich bin bei Dir.

Die Landschaft ist satt, sommerlich, grün. Die Hitze flirrend. Der Wald an diesem Sommertag ein Refugium. Sie folgt dem Waldweg ohne Ziel.  Sie setzt sich an einer Lichtung auf eine Bank. Schreibt.

23.07.

Ich genieße es hier zu sitzen, wie oft wirst Du in Deinem Leben solche Augenblicke genossen haben. Mama und du wirst sie nicht mehr genießen. Manchmal denke ich , ich müsste in Dein Zimmer kommen und dann wärst Du wieder voller tatkräftiger Energie, voller Lebensfreude.

Mama, Du wimmerst ununterbrochen vor Dich hin

Das Zimmer ist nur noch durch das Licht an ihrem Bett erleuchtet. Sie sitzt auf ihrem Bett und  hat die Beine angezogen, nutzt die Beine als Ablage für ihr Tagebuch. Schreibt.

24.07.

manchmal höre ich es schon nicht mehr, manchmal falle ich in Dein Stöhnen ein, manchmal nervt es mich. Ich bin erst zwei Tage hier und dennoch gibt es nur noch diese Gegenwart.

Gefällte Holzstämme zu einer Pyramide aufgeschichtet. Sie sitzt breitbeinig auf dem obersten Stamm, hat ein Bein angewinkelt. Sie lauscht dem Plätschern des Wassers im Tal, atmet den Duft des frisch gefällten Holzes ein, saugt ihn förmlich auf und hält ihr Gesicht in die Sonne. Dann kramt sie ihr Schreibzeug aus dem Rucksack. Sie zögert, fängt an, hört wieder auf,  lauscht, schreibt weiter.

Oh Mama, was für eine Nacht, wie viele Nächte werden noch folgen bis zur Erlösung. Wie wird es weitergehen. 

25.07.

Du hast über 40 Fieber, Du windest Dich, Du quälst Dich jämmerlich, erbärmlich, Du flehst Gott an, Du bist heiß, Du rufst nach Deiner Mama, Mama ich muss weinen, keine Distanz mehr, der ganze Schmerz und Dein Leid dringen in mich ein. Untröstlich. Ich bitte so sehr, dass Du sterben darfst. Gott bitte erkläre – erhöre unser Flehen. Ich flehe auch um meinetwillen, es ist so schrecklich diese vergeblichen Qualen mit ansehen zu müssen. Und dann fließt es alles raus, tropft, der Geruch sitzt mir noch immer in der Nase. Ich wische alles auf, putze Dir den Po ab. Hilflosigkeit, wo Du immer alleine fertig werden wolltest. Es fällt mir schwer dies alles zu schreiben, die Ereignisse wieder gegenwärtig werden zu lassen.

28.07.

Mama, ich weine, Du weinst. Du streichelst meinen Kopf und in dieser Trauer werden wir eins. kommen wir uns noch einmal so unendlich nah in all unseren Ängsten, Wünschen und Träumen.

30.07.

Ich suche Grenzerfahrungen. Jetzt lebe ich sie und kann sie manchmal kaum aushalten.

02.08.

Es wird ein dramatischer Sommer werden, das bevorstehende Sterben und doch immer wieder Leben, mein innerer Umbruch, das loslösen aus allen bisherigen Zusammenhängen

03.08.

„Im Taumel war ein Teil, ein Teil in Tränen“ Gottfried Benn,  Nichts mehr bleibt in Deinem Körper. Ich kann keine Briefe schreiben, es gibt nur diese eine Gegenwart, allumfassend. Was soll ich denn nur machen, ich weiß es auch nicht.

10.08.

Brechreiz immerwährende Übelkeit, alles zum Kotzen, unablässig dieser Reiz, Schmerz, Druck und ich schaue es mit an, schweigend, wortlos, röhrender Hirsch, röhrende Hirschkuh, Galle, Schleim, Schweiß, Urin, Speichel, würgen, wringen, husten, brechen, quälen, bald nur noch Haut und Knochen, von Wasser aufgequollene Beine, gequält und immer schwächer wirst Du.

WIE LANGE NOCH?

12.08.

Ich befürchte es wird eine unruhige Nacht. Du fragst die Ärztin tatsächlich, ob sie Dein Leid nicht beenden könnte. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, sie verneint, schweigend bei Dir sein.

Du windest Dich, Du bäumst Dich auf, Du wirst Dich hin und her, Du ballst Deine Hände zu Fäusten, Du schlägst um Dich, Du trittst in die Luft , Du krümmst Dich zusammen, Du streckst Deine Arme aus und spreizt Deine Finger, Du raufst Deine Haare, Du hältst Deine Augen geschlossen, Du willst noch auf die Bettpfanne, Du reagierst noch auf die Umwelt, Dein Todeskampf, ich sitze da, hilflos, ein Teil in Tränen, Deine Bewegungen werden ruhiger, meine Hand liegt auf Deinem Bein.

Kein Schmerzmittel nimmt Dir das Bewusstsein, alle Mittel bewirken nur das Gegenteil.

Sie sitzt am Tisch und schreibt.

16.08.

Ankommen, wieder diese Unruhe, dieser Kampf.
6 Menschen stehen um Dich herum, jeder gibt seinen Kommentar ab:
 der Pfleger interessiert an den Erscheinungen dieses Zustands, lässt Dich die Augen öffnen,
 die Schwester interessiert an Deinem Blutdruck, kommt nicht gegen Deine Unruhe an,

die Masseurin, dir zugeneigt, möchte Dich gerne beruhigen,
der Vater hilflos, ruft ständig Deinen Namen,
der Sohn distanziert anteilnehmend, hält sich im Hintergrund,
die Tochter glaubt Dich in diesem Zustand am besten zu kennen, antwortet an deiner Stelle, weist den Vater zurecht.

Mit letzten Kräften ziehst Du dich an mir hoch, richtest Dich noch einmal auf, versuchst nochmal Dich zu übergeben, vergeblich, suchst nach Wiederstand, krallst Dich um mein Armgelenk, drückst gegen meine Hände, wendest Dich hin und her, ich lasse etwas Wasser in Deinen trockenen Mund fließen, Du schluckst mühsam. Es ist Dein Kampf, ein verzweifelter Kampf in den Momenten zwischen Leben und Tod, wo sich Dein unermüdlicher Lebenswille an dem unbezwingbaren Tod abarbeitet.

Wie viele Stunden habe ich schon hier am Tisch gesessen, sobald Du etwas zu Dir kommst, ist sie wieder da, die Unruhe, Deine Lippen formen das Wort MAMA

Mama, Du bist bald bei Deiner Mama, jedes Wort ist nur noch ein Hauch

Der Bleistift fährt suchend vorsichtig über das Papier, ihr Blick ist auf das gegenüberliegende Bett gerichtet, auf das Gesicht der Mutter. Mit ihrem Blick sucht sie die Formen ab, die Augenlider dunkel und schwer, die Wimpern, direkt darüber die Augenbrauen wie gerade Striche, die hohe Stirn, vom Ohr zieht eine geschwungene Linie lang nach vorne zu dem spitzen Kinn, der Kopf liegt seitlich auf dem Kissen, die Nase ist spitz, der Mund ist geschlossen, die Mundwinkel ziehen leicht nach unten. die grauen kurzen Haare stehen nach oben, lassen die Stirn unbedeckt. Sie schaut auf ihr Blatt und staunt über all das, was die auf das Papier gebrachten Striche über das schlafende Gesicht erzählen.

18.08.

Mama, Dein Atem geht langsam und schwer, Deine Augen sind geschlossen, Deine Wangen sind eingefallen, wird Dein Lebenswillen nochmals Energien freisetzen, wirst Du Dich noch mit Deiner allerletzten Kraft gegen dieses Schicksal aufbäumen oder wird dieser Schlaf in den Tod übergehen? Ich kann nicht mal mehr von ewiger Ruhe schreiben, bei all diesem Leid, dieser Zerrissenheit, diesem Kämpfen, diesen Schmerzen, diesem Taumel und diesen Tränen, die diesem jetzigen Zustand vorausgegangen sind. Mama, wird nochmal ein Kontakt zu Dir möglich sein? Deine Augen sind immer nur halb geöffnet oder angstvoll aufgerissen, Dein Blick ist getrübt, seit deinem ersten Todeskampf und den stärkeren Schmerzmitteln liegst Du im Dämmerzustand, oder windest Dich in Unruhe, ach, wie Du jetzt daliegst, ich bin Dir so dankbar für alles, was ich von Dir bekommen durfte. Aber ich werde Leben, Mama und in meinen verzweifelsten Momenten werde ich an Dich denken,

Du atmest noch, auf einmal spüre ich die Angst und die Verzweiflung vor der Endgültigkeit Deines letzten Atemzuges.

19.08.

Papa ich habe Dich unterschätzt, fast schäme ich mich meiner Gedanken angesichts Deines, liebevollen, beruhigenden und behutsamen Umgangs mit dem Menschen, den Du im Rahmen Deiner Möglichkeiten über alle Maßen geliebt hast. Deine Hand liegt auf ihrem Herz, darüber ihre Hand, ich sehe Eure Ringe an den Fingern und bin zum Schweigen berufen, bis das der Tod Euch scheidet, ich sehe Deine Tränen und Deinen Schmerz, möchte Dich ermutigen und unterstützen.

20.08.

Oh Mama, warum darfst Du keinen Frieden finden, es tut so weh, Dein Röcheln, Dein nach Luft schnappen, Dein Stöhnen, Deine flehentlich nach oben gerichteten halb geöffneten Augen, Deine vergeblichen Bemühungen Dich zu bewegen und mit der ganzen Wucht prallt der Schmerz auf mich herein, versuche ich Dir ganz nah zu sein, setze mich restlos aus und werde fast umgehauen, mir ist schwindelig, ich kann meinem Blick nicht von Dir wenden, Dein Puls rast, Wettrennen mit dem Tod, ein einziger Herzschlag, ein einziges Schlagen, dein ganzer Körper, jetzt verstehe ich den Todeskampf, Mama, wenn Du mit letzter Kraft versuchst Luft zu holen, verstehe ich Überlebensinstinkt,

Sie liegt in einem leeren großen Raum, bald Intensivstation, hört das Rauschen der Bäume.

Was für ein Tag und Du lebst und ich bin doch nicht verrückt geworden. Meine Zuversicht, das Schlimmste sei vorüber, Du seist bald erlöst, alles hinüber und nur noch Schmerz, Wut und Ohnmacht angesichts Deines Kampfes, der andauert und Stunden werden zur Ewigkeit und diese Ewigkeit raubt mir die letzte Kraft, Besinnung, und Zuversicht, jeder Atemzug ein klagender Hilferuf, ein Überlebensreflex, die Aussage, ich will nicht Sterben, Deine Augenlider halb geöffnet, der Blick scheint nach oben gerichtet, Dein Körper prall wie der einer Gummipuppe zum Zerplatzen, ich muss raus, kann Dein Stöhnen nicht mehr ertragen, finde alles fies, gemein und ungerecht, laufe laufe laufe am liebsten bis zur Besinnungslosigkeit

21.08. 5 Uhr morgens bald, Mama Du bist tot.

Ich weiß immer noch nicht was es bedeutet, Du hast es geschafft, den Übergang hinter Dir, ich habe den Vorschlag gemacht, nochmal zu schlafen, so liege ich dann auf dem Fußboden bei Kerzenschein zwischen Ma und Pa und es ist eine Form der letzten gemeinsamen Zeit Totenwache und es ist noch mehr als Dein toter Körper, der hier neben mir liegt. Jetzt völlig erschöpft von einer langen strapaziösen Reise heimgekehrt, die letzten Stunden mehr Taumel als Tränen.

Nochmals in dem großen leeren Raum.

Kaum  die Tür hinter mir geschlossen, durchbebt es mich, ein Aufschrei, ein Schluchzen, der ganze Körper bebt, zittert,  Mama Du bist tot, nie wieder, endgültig der Abschied, und bei aller Befreiung stellt sich der unsagbare Schmerz ein.

Kein leichter Abgang. Auch ein Erbe. Das Kammerspiel verkraften. Eindrücklich, wie mein Körper dieses Erbe antrat. In Wiederholungen am eigenen Leib. Loops. Variationen über Jahre. Keine gute Idee. Die Schmerzensreiche.  Dieses Erbe trat wohl eher mich an.

Wollte mich nicht an dein Sterben erinnern. Hatte aber mitgeschrieben. Besaß mit 21 Jahren nicht den Gleichmut, es einfach als deinen Weg zu sehen. Halt ein qualvoller am Ende. Kommt vor. War zu nah. Schonungslos. Mein Umgang oder dein Weg? Da war die Sinnlichkeit des Sommers und die Auflösung der Welt, die nicht mehr existierte in diesem Kammerspiel.

Was tun, damit auch daraus etwas wächst?

Wenn ich den Tisch decke abends, für die Kinder, wenn ich Familie feiere an Geburtstagen, dann weiß ich nicht, ob ich es bin oder ob du es bist. Die Filme liegen übereinander. Hingabe ans Mutter sein. Hingabe an die sinnlich erfahrbare weite Welt. Hingabe an die Menschen darin. Die Nahen und die Entfernten. Ich muss ganz hinab tauchen, die Wurzeln reichen dorthin, wo die Erde fruchtbar ist.  Weite Welt. Sinnlich erfahrbare. Hingabe an die Menschen.