die Schreibende und ich 16

Karsamstag, mein Osterfeuer brennt im Kamin. Ich sitze davor und schaue in die Flammen. Meine Ostermeditation. Die Glocken läuten. Die Schreibende kommt ins Wohnzimmer.

die Schreibende: Frohe Ostern, du sitzt da ja ganz andächtig.

ich: Ja, ich fühle mich auch irgendwie andächtig. Auf jeden Fall geht mir viel durch den Körper.

die Schreibende: Durch den Körper. Das gefällt mir, ist ja auch viel besser, als wenn alles nur durch den Kopf geht.

ich: Ich bin immer noch mit den Erfahrungen aus the week beschäftigt, habe ich dir davon schon erzählt.

die Schreibende: Naja, ich habe schon mitbekommen, dass du dreimal in einer Woche die gleichen Freunde zu Besuch hattest und dass ihr Filme geschaut und darüber gesprochen habt. Richtig konspirativ hat das gewirkt.

ich: Ja, ein Paar aus Belgien und Frankreich, Frédéric Laloux und Helene Gerin, die jetzt in einem Ecovillage bei New York leben, haben dieses Format, dass sie the week nennen, ins Leben gerufen. Und tatsächlich geht es darum, in einer Gruppe innerhalb einer Woche eine dreiteilige Dokumentation anzuschauen und sich darüber austauschen. Angefangen hat es, als die beiden begannen sich absichtsvoll zu vertiefen in das, was durch den Klimawandel auf uns zukommt. Sie wollten einfach wissen, was die Zukunft für sie und ihre Kinder bringt, um sich nicht mit der Ausrede davon zu stehlen, sie hätten nichts gewusst, wenn ihre Kinder mal fragen, was sie beigetragen haben, um die Erde bewohnbar zu erhalten. Die Erkenntnisse wirklich zuzulassen, das war erschütternd. Sie haben sie mit Freunden geteilt, was sehr emotional war. Erstaunlicher Weise hat es ihnen Energie und Entschlossenheit geschenkt, ihren Weg zu finden, um zu einer zukunftsfähigen Welt beizutragen. So war es am Ende auch befreiend. Immer haben die beiden versucht zu verstehen, wie es kommt, dass soviel Wissen vorhanden ist und so wenig Handlungen folgen. Bei ihnen war die emotionale Betroffenheit ein Schlüssel, dass ein inneres Bedürfnis entstand, wirklich das eigene Potential zu nutzen, um die Welt zu einem zukunftsfähigen Ort zu machen. Und es machte auch Freude, verband sie mit vielen interessanten, unterschiedlichen Menschen in Europa und Nordamerika, mit denen sie sich gemeinsam auf dem Weg in die Richtung lebenswerte Zukunft machten. Sie fokussierten sich auf Europa und Nordamerika, weil sie dort ihre kulturelle und gesellschaftliche Beheimatung sehen und deshalb fundierter beitragen konnten. Die Freunde haben wiederum ihre Freunde dazu eingeladen. Um diesen Prozess auch noch mehr Menschen als den Freunden der Freunde zugänglich zu machen, produzierten sie im Zeitraum von drei Jahren drei Dokumentationen mit großer Sorgfalt, um den eigenen Prozess der emotionalen Betroffenheit durch die Konfrontation mit den relevanten zur Verfügung stehenden Informationen im Wohnzimmer der Zuschauenden erlebbar zu machen. Dabei betonen sie immer wieder, dass die Gespräche im Anschluss das Entscheidende sind.
Der Weg ist der eines U. Erst geht es nach unten, bevor die Energie frei wird. Am zweiten Filmtag, in der Talsohle, geht es um die Frage, wie sind wir da gelandet und gibt es noch Hoffnung? Da geht es dann um die old story des more. Wie wir über Werbung das Gefühl des nicht genug auf allen Ebenen erzeugen, um den eigenen Mangel über Konsum dann zu kompensieren. Wie dieses Glück durch more zu Massentierhaltung, Monokulturen, lineare Produktionsketten mit Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und Einsamkeit führt. Plakativ in meinen Worten zusammengefasst. Und dann werden im dritten Teil die vielen Ansatzpunkte ins Handeln zu kommen exemplarisch von Einzelnen, die bereits auf dem Weg sind, vorgeführt. Die beiden sind wirklich auf eine sehr aufrichtige, integre, emotionale Art während der drei Dokumentationen mit den Zuschauenden in Kontakt und halten durch ihre Impulse und Regeln auch den Gesprächsrahmen. Das ist schon sehr berührend. Auch das in den drei Dokumentationen immer wiederholt Menschen zu Wort kommen, die dann quasi auch mit ihren Erfahrungen uns dadurch begleiten, hat mir gutgetan. Es waren sehr unterschiedliche Menschen, von der Schülerin bis zum Großvater, vom Unternehmer über die Angestellte bis zum Arbeiter, unterschiedlicher Hautfarben und Nationalitäten. Es ist nicht eine Frage einer spezifischen Subkultur, sondern es geht alle an und alle können auf dem Weg sein.

Für mich hat es einen großen Unterschied gemacht, das ich unmittelbar Gemeinschaft, Unterschiedlichkeit und Verbundenheit bei der Durchführung von theweek erlebt habe. Ich habe mich ermutigt gefühlt, das zu tun, was mir entspricht, was Energie freisetzt, was mich in Bewegung bringt, was mich womöglich zu einem besseren, da verbundenem und sinnstiftendem Leben führt. Also weg von Flug- und Fleischscham, hin zu Aufbruch und Initiativkraft. Es endet nicht mit verdrossener Konsumbegrenzung, sondern mit Lebendigkeit, guter Laune, auf dem Weg der vielen kleinen Schritte von vielen Menschen in die richtige Richtung. Da müssen wir nicht warten, bis die Politik sich ändert, sondern können bemerken, dass jede kleinste Handlung Auswirkungen hat, positive Ansteckung nach sich ziehen kann, es zu positiven Tipping Points führt, die dazu beigetragen haben, dass die Menschheitsgeschichte schon wieder und wieder neu geschrieben wurde. Die Auflösung der Monarchien, der erfolgreiche Kampf für Wahlrecht der Frauen, selbst die neueren technologischen Entwicklungen, die Probleme in der Vergangenheit gelöst haben, sind Beispiele hierfür.

die Schreibende: Und jetzt? Was machst du aus deiner Erfahrung?

ich: Also mit Papiertüte zum Bäcker gehen wie du, das habe ich tatsächlich nicht geschafft. Ich habe einfach immer erst daran gedacht, als ich in der Bäckerei an der Theke stand. Aber ich freue mich mehr an dem, was ich bereits lebe, weil ich begreife, dass ich einen Unterschied mache, dass es auf mich ankommt. Mein Lebensstil trägt bei, steckt andere womöglich an. Ich würdige anders als bisher, was ich schon tue, schaue nicht mehr nur auf das kollektive Desaster. Gerade spreche ich begeistert, wenn es passt von theweek – nachzuschauen auf www.theweek.ooo und ermutige Menschen, eine week zu organisieren. Außerdem freue mich über alles, was ich noch vertiefter beitragen werde, von dem ich jetzt noch gar nicht weiß.

die Schreibende: na schön, dann weißt du ja jetzt, wie es sich für mich anfühlt, Müll zu vermeiden und mich nur noch mit ausgewählten Dingen zu umgeben.

ich: Ja, ja, ja, ist doch schön, dass wir beide mit aller Unterschiedlichkeit auf dem Weg sind. Ich habe noch aus einer anderen Ecke Inspirationen bekommen, Being the change changes the being, aber da erzähle ich dir dann ein andermal davon. Jetzt schaue ich noch in die Glut meines Feuers.

Ein Gedanke zu “die Schreibende und ich 16

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s