„Wherever you go, and whatever we do, we have an impact. The trick is to make sure, it’s a positive one.“
Das steht in der Visitor Charter der Tin Coast, dem Küstenabschnitt bei St Just, welcher aufgrund der verlassenen Kupfer- und Zinnminen zum Weltkulturerbe ernannt wurde. Der Satz gefällt mir, auch wenn ich mir nicht schlüssig bin, ob diese verlassene Landschaft, wo der Mensch einem Maulwurf gleich unzählige Gänge ins Gestein gebohrt hat, um die Mineralien aus den Adern der Erde herauszuholen, ob diese zurückgelassenen Verwundungen nun Mahnmal sein sollen oder Zeugnis menschlicher Größe. Es fasziniert mich, mit welchem unglaublichen Kraftaufwand der Mensch in der Lage ist, die Naturgesetze außer Kraft zu setzen. Die emporragenden gemauerten Schornsteine, ich kann nicht anders, als sie auch als phallische Denkmäler männlicher Potenz zu betrachten, die in den Himmel ragen. So spüre ich beides. Faszination und Grauen.
In den Tiefen des Gesteins gibt es über 1000 Minenschächte und hunderte von Meilen unterirdische Tunnel. Überall stehen Schilder, dass es gefährlich ist die Wege zu verlassen, weil Schächte wie unsichtbare Fallgruben vom Ginster überwuchert, den Wanderer verschlucken können. Ich stelle mir vor, wie Männer in den Gruben schufteten, während arsenhaltige Dämpfe bei den Schmelzvorgängen aufstiegen und es immer noch weitere Schritte dauerte, bis die wertvollen Mineralien herausgelöst waren. Auch wenn die Erde hier wie von einem Narbengewebe durchzogen beschrieben wird von Raynor Winn, der Autorin des Salzpfades, so räumt sie auch ein, dass wir ohne dieses Erbe ärmer wären.
Als wir zum zweiten Mal durch die Landschaft wandern, finde ich sie nicht weniger faszinierend. Zwei Menschen hocken auf einem der unzähligen Steinhaufen mit Hämmern, klopfen Steine auf, betrachten sie, werfen sie wieder zurück auf den Boden. Es sind ein Mann und eine Frau.
„Komm, lass und die beiden fragen, nach was sie suchen, bestimmt können sie uns erzählen, was es zu finden gibt“, sage ich zu den Kindern.
„Hallo, nach was halten Sie Ausschau? Wir sind gänzlich unbedarft. Sieht so aus, als wären Sie Experten.“
Wie ahnungslos ich bin, wird mir erst im Laufe des sich anschließenden Gesprächs bewusst.
Ich habe die Geröllhalden aus Abraum gar nicht sofort als solche wahrgenommen, sondern als Teil der Landschaft, die sie in den Jahrzehnten geworden sind. Jetzt fällt es mir erst wie Schuppen von den Augen, diese unzähligen Berge von Gesteinsbrocken.
„Ja, kommt, wir zeigen Euch, nach was ihr Ausschau halten müsst, meine Tochter ist ganz großartig darin, noch kupferhaltige Steine zu finden“, sagt ein braun gebrannter älterer Mann mit sonnengegerbter Haut und einem Zahnlückenlächeln.
„Bis die Minen geschlossen wurden, habe ich mitgearbeitet. Ich kam als junger Mann hierher und habe mein Leben als Bergarbeiter verbracht. Habt ihr auch Werkzeuge dabei?“.
Als wir verneinen, komme ich mir vor, als wäre ich ohne Korb und Messer in einem Wald, wo sich nur Pilzsucher treffen. Aber ich lerne ja gerade erst, dass es etwas zu finden gibt.
Nach was halten wir Ausschau?
Der Mann erzählt, dass seine Tochter in jeder freien Minute hier draußen sei, weil es einfach gut tue, ein Ausgleich zur Arbeit hier an der frischen Luft, sie habe ein Händchen für die Steine.
„Was habt ihr denn schon gefunden?“
Ich zeige ihm zwei Steine, die mir in der Nähe der beiden mit Blick auf den Boden schön vorkamen.
Ein kurzer Blick, ein Schlag mit dem Hammer, ein fallen lassen, die taugen nichts. Nicht essbar, für den Fall, dass es Pilze wären.
„Kommt mit, ich zeige Euch, wo es noch bessere Steine zu finden gibt“, sagt der Mann und er bewegt sich behände über die Geröllfelder, auch wenn ich auf einmal ahne, dass er gut schon an die 80 Jahre alt sein könnte.
Er zeigt uns die Einbuchtungen, die auch Einstiege zu den Adern seien, die längs unter der Erdoberfläche entlanglaufen. Mineralische Adern, die sich durch die Tiefe ziehen und die Menschen schürften und schlürften, stülpten das Innere unter dem Meeresgrund heraus, klopften, brachen, zerstampften, kalzinierten, schmolzen, brannten, wandelten, oxidierten.
„Die Voraussetzung aller Schächte sind Gesteinsschichten, die dicht genug sind, um kein Wasser durchzulassen.“ Ich verstehe etwas von Killerstone. Er klopft und zeigt uns blau schimmernde oxidierte kupferhaltige Oberflächen. Er hebt Steine auf, die weißlich, gelblich glänzen.
„Foolsgold“, sagt er lächelnd.
Zinn ist dunkel und dicht, Kupfer schimmert goldener als das Foolsgold. Es ist eine Lektion in Mineralogie und Chemie.
„Hier bei mir lernt ihr mehr, als in wochenlangen Studien“.
Ich schaue und staune, auch wenn mir komplett die Grundlagen fehlen, um das Gehörte zuordnen zu können.
„Die Deutschen haben ganz hervorragende Mineralogen und waren führend auf dem Gebiet der Steinkunde“, und er erzählt von berühmten deutschen Steinbrüchen.
Bei mir klafft einzig eine große Lücke des Nicht Wissens. Ich nehme mir vor, angesteckt von seiner Begeisterung, über Mineralogie und Bergbau in Deutschland und Cornwall nachzulesen. Dabei entdecke ich, dass der Bergbau eine ganze eigene Sprache entwickelt hat, die ich selbst auf Deutsch gänzlich neu lernen müsste und ich bin etwas getröstet, dass ich von seinen Ausführungen nur die Hälfte verstanden habe.
„Die Mädchen waren gerade mal 12 Jahre, die hier arbeiteten“, sagt er und langsam setzt sich erst das Bild zusammen, dass die Steine aus dem Erdinneren auf die Oberfläche geschüttet wurden, aufgeklopft von Mädchen, die Steine mit Mineralien dann zu den nächsten Stätten der weiteren Verarbeitung gebracht haben.
„Wieso sehen sie sofort, ob ein Stein interessant ist oder nicht?“
Er lächelt mich wissend an.
„Jahrzehntelange Erfahrung. Mein Leben und meine Leidenschaft“.
Bevor die Mine endgültig geschlossen wurde, versuchten sie nochmal diese wieder trocken zu legen, da Meerwasser eingedrungen war. Er war dabei. Es war sehr aufwändig, rentabel sei es dann doch nicht gewesen. Jetzt also Geschichte.
Weil sie nicht aufhören können zu suchen, obwohl die Adern ausgekratzt seien, suchen sie weiter, weil es Spaß macht in den Resten noch etwas zu finden. Geld lässt sich damit nicht mehr verdienen. Ich kann mir vorstellen, dass es eine Passion werden kann wie das Puzzeln, die Hingabe an das Suchen, die Freude des Findens, das Klopfen, fallen lassen, nur wenige Gewinne, keine Hauptgewinne mehr, aber ein leidenschaftlicher Zeitvertreib. Wir kämen noch an Abraumbergen vorbei, da vorne, da sollten wir unbedingt weitersuchen, da würden wir sicher noch fündig werden. Als wäre es nicht denkbar, dass wir nicht zu den Suchenden und Findenden gehören wollten. Wir gehen zurück zu der Stelle, an der seine Tochter noch klopft und an der unsere Rücksäcke liegen. Ich bin froh, dass er dabei ist, weil ich in dieser Landschaft aus Steinen und Geröll keine Orientierung habe.
„Ihre Tochter hat die Leidenschaft wohl von Ihnen geerbt“, sage ich.
Er nickt lächelnd und mit liebevollem Stolz.
Nach was halten wir Ausschau?
Nach passenden Puzzleteilen, nach Steinen, mit Spuren von Kupfer, nach Momenten des Glücks?
Nach was halten wir Ausschau?