Es regnet und die ersten Lindenblätter färben sich gelb. Hier wird es zumutbar herbstlich.
In dieser Stimmung haben die Schreibende und ich uns zusammengetan und nicht nur dem Regen gelauscht. In unserem Coworking Prozess haben wir uns zurückerinnert. An das Ankommen. Das Heimkehren. Und das Vorausplanen. Das noch nicht wegegekommen Sein. Und so umkreisen wir unsere Reise im Danach und Davor, stellen Fragen nach dem Wie und Warum des unterwegs Seins. Herausgekommen sind 6 Episoden rund um die erste Englandreise, die wir jetzt wöchentlich in den Blog stellen. (Öffentlich verkündete Vorhaben erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung)
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Nach zwei verpassten Zügen wegen Verspätung kommen wir also doch wieder zu Hause an. Es kommt mir vor wie ein Wunder. Am Morgen uns aus dem kleinen Hotelzimmer im Kings Cross Inn geschält und die Straße überquert zum Abfahrtsterminal des Eurostars in St Pancras und am Abend laufen wir trotz aller Verspätungen noch in der Abenddämmerung zurück ins Paradies, das mir so unwirklich vorkommt.
Um anzukommen muss ich direkt anfangen auszupacken, als gäbe es kein Ankommen ohne Auspacken für mich. Als gäbe es kein zu Hause ohne diese nach der Reise Stillleben. Dann ist es bald soweit, die Wäscheberge türmen sich vor der Waschmaschine. In den Kleidern stecken noch die Gerüche der Reise. In den Stadtplänen und Ausstellungsflyern entfalten sich die zurückgelegten Wege.
Der Schweiß unserer Fahrradtour steckt zum Beispiel in dem kaffeebraunblau gestreiften Oberteil, dass so eng am Körper klebte. Wir leihen unsere Fahrräder bei Steve in Penzance, ein kräftiger bärtiger Mann, dessen Frau uns die Tür öffnet und uns durch einen kleinen Flur eine Treppe hinunter in einen Hinterhof mit Garage führt. Zur Straßenfront in großen Fenstermansarden ist noch der Frühstückstisch für die Bed and Breakfast Gäste gedeckt. Einladend sieht es aus. Steve schaut uns an und holt seine größten Fahrräder, allesamt neue Ware, auf die er monatelang gewartet hat. Ja, sagt er, es ist schön, dass die internationalen Gäste wieder kommen, jetzt wo die Engländer die Insel wieder verlassen. Er hofft, sie kommen schnell genug, auch wenn der Staat die Menschen, die vom Tourismus leben zunächst gut unterstützt hat, kämpfen alle mit den Nachwehen der Pandemie.
Steve erklärt uns den Weg: Nach Mousehole können wir an der Strandpromenade entlangfahren, dann geht es den Berg steil nach oben, so steil, dass es egal ist, ob wir schieben oder laufen, wir sind genauso langsam oder schnell, dann geht der Weg um die Kurve bis aus dem Nichts eine Thai Takeaway am Straßenrand auftaucht. Wir können uns an den Fahrradschildern mit der Nummer 3 darauf orientieren. Wenn wir wollen, dann führt uns der Weg bis nach Lands End auf unbefahrenen Straßen, auf denen uns allenfalls ein Bus überholt. Und an den Merry Maidens kommen wir noch vorbei, da müssen wir nach links schauen, über das zweite Gatter können wir klettern, um den keltischen Steinkreis aus der Nähe zu betrachten. Steve malt uns die ganze Route auf einer Karte auf. Lamorna Cove ist ein alter Steinbruch, beantwortet er meine Nachfrage, aber da geht es nochmal steil runter. Nach Steves Wegbeschreibung sehe ich uns am Ende der Promenade gemütlich Kaffee trinken. Aber wir radeln und radeln, vorbei am Thai Take Away, das aus dem Nichts auftaucht, auf Straßen, die verwunschen, zugewachsen, überdacht von den Bäumen uns in ein anderes Reich versetzen. An der Lamorna Cove fragen wir zwei Männer nach einem passenden Inbusschlüssel, die vor einem Café stehen, weil ein Sattel doch zu niedrig ist. Der Ältere fragt uns etwas, der Jüngere lacht und sagt, sprich Englisch, selbst er verstehe sein Kornisch nicht, sagt er an uns gewandt. Entweder wir machen den Sattel höher oder die Beine kürzer, sagt der ältere Mann, diesmal auf Englisch. Ja, genau, dass sind die beiden Möglichkeiten, da ist er wieder, der britische Humor. Der passende Inbusschlüssel findet sich, wir sollen ihn doch mitnehmen, man wisse nie.
Lands End. Da also radeln wir hin, da wo das Land endet und das unendliche Meer den Blick bis nach Kanada frei lässt. Lands End ist das englische Finisterre und bis an dieses Ende der Welt radeln wir jetzt. Die Merry Maidens stehen unschuldig auf dem Feld und ein Hund umkreist sie freudig bellend, als wäre es sein Ort, an dem er seine Zeremonie abhält. Die Hundebesitzerin erzählt, dass es genau 19 Steine sind, obwohl es mal 18 waren und dass die kleineren und die größeren Steine für unterschiedliche Mondphasen stünden. Ich schreite die Steine von Innen und Außen ab und stelle mich in die Mitte. Die Kraft der Steine, dieses alten Ritualplatzes, ich spüre sie. An Lands End umrunden wir die vorangelagerten touristischen Spiel Spaß und Spannung Attraktionen und schauen auf die Felsen und den Leuchtturm, lassen uns den Wind um die Nase blasen und laufen nach Süden, vorbei an einem Streichelzoo und einem craft shop. Der als Pirat verkleidete Silberschmuckverkäufer kommt mit uns ins Gespräch. Er erzähle den Kindern immer Geschichten, er sei der Geschichtenerzähler schlechthin und manchmal könnten die Kinder dann nachts nicht mehr schlafen. Das glaube ich sofort, da er die Aura eines Piraten hat, eines Mannes, der schon einiges an Leben hinter sich hat, darin aber auch viel Weisheit angesammelt. Wenn wir weiterlaufen, kommen wir an den Felsen, der aussieht wie ein im Meer trinkender Elefant und an weitere Steine aus der keltischen Zeit. Das sollen wir doch machen, noch etwas die Felsen erkunden und unsere Räder hier stehen lassen.
Vielleicht heißt in der Fremde sein, mir erzählen lassen, was ich zu tun habe, von Menschen, die mir aufmalen und sagen, was es zu entdecken gibt. Vielleicht sind es meine nicht gebuchten Fremdenführer, die mich an die Hand nehmen und mir die Augen öffnen mit ihren persönlichen Geschichten. Vielleicht ist es meine Neugier, die sie einlädt, mich an die Hand zu nehmen.
Das alles steckt als Schweiß in dem T-shirt, dass da vor der Waschmaschine liegt.
Da liegt auch das Badezeug, in dem noch das Meerwasser klebt, salzig, voller Algen aus dem Whitesand Bay in Sennencove und Porth Nanven und Portheras Cove, die Buchten, die wir uns auf unseren verschiedenen Touren erwandert haben. Das Meer, das mich so fasziniert und einschüchtert. Wenn ich in die zurücklaufende Strömung schaue, stelle ich mir vor, sie ist wie ein Staubsauger, der mich einsaugt und mitnimmt und weit draußen wieder ausspuckt. Diese Wucht, wenn die Brandung zweier Wellen gegeneinanderschlägt. Ich kreische vor Angst, Freude und Kälte, bleibe da, wo die Brandung am unangenehmsten werden kann, aber ich mich trotzdem sicher fühle.
Mein manischer Vollzug des Ankommens, der eine nicht vorhandene Energie freisetzt, beinhaltet dieses Mal, dass ich alle Stadt und Faltpläne mit Tesakrepp versehe und an unsere jungfräulich frisch gestrichene Küchenwand pinne. Ich bin entzückt, wie sie sich sowohl farblich, als auch von den graphischen Formen zu einer perfekten Küchenwandgestaltung zusammen puzzeln, als hätten sie einzig auf diesen Moment gewartet, in meiner Konstanzer Altbauküche kuratiert zu werden und ihre ganze Größe als Kunstwerke zu entfalten.