Narrative, Paradigmen, Ideologien und Mythen
Ich: Sag mal, neulich, haben wir uns da nicht über Narrative unterhalten?
die Schreibende: Nein, ich habe geschrieben und Du wolltest mir ein Gespräch aufzwingen.
Ich: Ja, stimmt, ich erinnere mich dunkel. Ich bin innerlich bei meinem Hang zum Tröstlichen gelandet, das war auch nicht schlecht. Aber sag mal, hast Du nicht währenddessen über Narrative und Mythen einen Text geschrieben?
die Schreibende: Hab‘ ich nicht weiterverfolgt.
Ich: Glaube ich Dir nicht. Wenn Du einmal etwas angefangen hast, dann bleibst Du doch immer dabei, im Gegensatz zu mir.
die Schreibende: Also gut.
Wusstest Du, dass unser ganzes Leben durchsetzt ist von verborgenen Ideologien und Narrativen, die Quasi als Rahmenerzählung funktionieren und in unserem Unbewussten wirken und ebenso unbewusst die Grundlage bilden, auf der wir unsere Handlungen abwägen? Sie geben quasi den Boden vor, auf dem wir die Rollen entwickeln, die wir in unserem Leben spielen.
Ich: Also die Psychologin in mir würde sagen, dass sind die Stories, die ich mir über mich selbst erzähle. Auch ein trendiges Wort ist das mind-set, das mich bestimmt. Oder wir haben früher einfach gesagt, die Glaubenssätze. Wenn ich das von der kognitiven Ebene auf die physiologische Ebene übersetze, würde ich sagen, es sind unsere neuronalen Strukturen, die unser autonomes Nervensystem steuern.
Die Schreibende: Einfach zuhören ist nicht so Dein Ding, was? Sollen wir dieses Gespräch als Diskurs führen und eine intellektuelle Debatte daraus machen, welche Narrative in der Postmoderne die Metaerzählungen der Moderne abgelöst haben? Oder welche Wörter in welchem Beruf benutzt werden, um das gleiche zu beschreiben? Dass es jetzt mindsets statt Glaubenssätzen gibt und Frames und Narrative, nebst den Stories.
Ich: Du inspirierst mich einfach zu sehr mit Deinen Gedanken. Du erzählst mir, wie jeder in einer von seinem Mikronarrativ bestimmten Welt lebt, die oftmals gar nicht dem Bewusstsein zugänglich ist. Das ist doch absolut faszinierend.
die Schreibende: Ja, vielleicht für die Psychologin in Dir. Mich interessieren aber vielmehr unsere kulturellen Ideologien und Paradigmen, weil die gewissermaßen den Horizont unseres Denkens bestimmen. Also nehmen wir an, wir leben in einer Zeit, in der das Wissenschaftsparadigma dominiert. Dann ist alles von Interesse und handlungsleitend, was mit den Methoden unserer Wissenschaft nachgewiesen werden kann.
Ich: Das ist ja nicht das Schlechteste, dann können keine religiösen Ideologien das Maß aller Dinge werden.
die Schreibende: Schon und gleichzeitig reduziert sich unsere Welt auf Zahlen, Daten und Fakten, die Kontrolle suggerieren, wo es keine Kontrolle gibt.
Ich: Wieso? Ich versuche als Wissenschaftlerin doch einfach über meine persönlichen Beobachtungen hinaus, die ja wie von Dir gesagt, durch mein Mikronarrativ bestimmt werden, eine Erkenntnis zu gewinnen, die auf einer objektiven Datenbasis beruht.
die Schreibende: Da lieferst Du ja wieder das Schlüsselwort, das Teil des Wissenschaftsparadigmas ist. Objektiv. Es wird eine beobachterunabhängige Realität unterstellt, die valide, reliabel und objektiv erfasst werden kann.
Ich: Dito.
die Schreibende: Aber merkst Du denn nicht, dass das der blinde Fleck ist.
Ich: Nö.
die Schreibende: Also sagen wir mal so. Die Schlussfolgerungen der Hunde wären andere, als die der Menschen, da sie andere Sinnesorgane und andere Messinstrumente haben.
Ich: Heißt was?
die Schreibende: Das, was in den wissenschaftlichen Fokus gerät, ist von den Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit gesteuert und zudem interessengeleitet und schon deshalb nicht objektiv – wie gesagt, unbewusste Mikronarrative.
Ich: Und was heißt das für Dich?
Ein Freund hat mir zwar vorgeworfen, ich wolle immer sofort wissen, was er für Schlussfolgerungen aus Erkenntnissen zieht, er ziehe aber gar nicht sofort Schlussfolgerungen aus seinen weitreichenden Erkenntnissen, aber es interessiert mich trotzdem.
die Schreibende: Jede Schlussfolgerung bei mir ist vorläufig, eine Momentaufnahme, die sich mit veränderten Erfahrungen und Erkenntnissen wandelt.
Ich: Hört sich eher nach mir an. Bloß nicht festlegen, mich bloß nicht angreifbar machen.
die Schreibende: Das Gegenteil ist der Fall. Weil ich mir erlaube, mich zu entwickeln und mich zu wandeln, kann ich zu dem stehen, was heute für mich richtig ist.
Ich: Auch gut. Was ist heute für Dich richtig?
die Schreibende: Für mich ist heute richtig, dass ich die Welt von dem Wissenschaftsparadigma dominiert wahrnehme, in dem alles nicht mit den Messinstrumenten dieser Wissenschaft nachweisbare schlicht und ergreifend nicht von Interesse und damit nicht existent ist, oder okkulten, esoterischen, parapsychologischen Sphären zugeordnet wird. Allenfalls die Quantenphysiker oder auch die Parapsychologen, die sich den wissenschaftlichen Messinstrumenten zugewendet haben, finden Beachtung. Aber gerade am Beispiel der Quantenphysik wird deutlich, dass sich die komplexen Sachverhalte nur anspruchsvoll in unsere wissenschaftlich-sprachliche Welt übersetzen lassen. Deshalb findet sie auch nur begrenzt Einfluss in das gesellschaftlich geteilte Wissenschaftsparadigma. Schamanen in anderen Kulturen gehen zum Beispiel von Erfahrungen und Wissensbereichen jenseits von Raum und Zeit aus.
Ich: Wow, jetzt holst du aber weit aus.
die Schreibende: Also für mich ist richtig, sich jenseits des vordergründig Naheliegenden für eine ganzheitliche Sicht zu öffnen, die auch die Ahnen und das Wissen aus den Zwischenreichen, aus Zuständen zwischen Sein und Nicht Sein einlädt. Oder wenigstens den Menschen zuhört, die es zur Verfügung stellen. Dazu gehört für mich auch, den Mirkokosmos nie getrennt vom Makrokosmus zu begreifen, den Menschen nie außerhalb der Natur zu sehen, die ihm Leben ermöglicht, und auch Gesundheit und Krankheit als Zustände zu begreifen, die sich nur scheinbar auf einen einzelnen Menschen beziehen, aber in Wirklichkeit immer im Mensch-Natur Kontext betrachtet werden müssen. Dann ergeben sich auch andere Schlussfolgerungen. Dann erkranken zum Beispiel während einer Pandemie nicht einzelne Menschen, sondern in Einzelnen spiegelt sich, wie Mikro- und Makrokosmos aus der Balance geraten sind. Und daran würde sich die Frage anschließen, was Balance ist, und wie sie wieder herzustellen wäre. Also der komplette Fokus wäre ein anderer. Während bei der Pandemiebekämpfung der Fokus auf der Verlängerung von Lebenszeit einzelner Menschen liegt, auf der Erleichterung von Krankheitsverläufen und der Entlastung von Intensivmedizin, wäre der Fokus einer, wie die Menschen eine sich rasch verbreitende Viruserkrankung mit teils tödlichen Verläufen nutzen könnten, um sich geeignete Fragen nach einem nötigen Wandel auf einer tiefer liegenden Ebene zu stellen, wo Ansatzpunkte von Heilung sein könnten. Und Heilung geht immer Zerstörung voraus, Wandlung beinhaltet, dass der Status Quo aufgegeben werden muss. Und Heilung braucht den Blick nach Innen, weil Mikro- und Makrokosmos im Inneren verwoben sind.
Ich: Hast Du Dich schon als Vortragende auf Kongressen für ganzheitliche Weltbetrachtung beworben?
die Schreibende: Ach, es ist einfach unglaublich schwierig, das zu formulieren. Es hat etwas mit Ausrichtung, Intention, Haltung, Bewusstsein, Verbundenheit zu tun. Und es hat etwas mit Bescheidenheit, sich einfügen in ein großes Ganzes, mit Demut zu tun. Also die Veränderung im Äußeren folgt der Veränderung im Inneren.
Für mich ist richtig, dass da viel mehr ist, als wir ahnen und das wir gut daran tun, jede und jeder, dass uns mögliche zu tun, um wacher, empfänglicher und ausgerichteter zu werden.
Ich: Das war ja jetzt eine richtige Rede. Ich bin ganz ehrfürchtig.
die Schreibende: Hey, nicht nur, dass Du mich ständig unterbrichst, jetzt machst Du Dich auch noch über mich lustig. Das ist mir wirklich bedeutsam, was ich Dir erzähle.
Ich: Sorry, mein Kompliment hatte einen Unterton, ich gebe es zu. Ich spüre, wie bedeutsam das ist, was Du versuchst in Worte zu fassen. Vielleicht bin ich ja neidisch. Jenseits von Raum und Zeit. Jenseits von richtig und falsch. Vielleicht sollte ich mich auch mit Schamanismus beschäftigen.
die Schreibende: Nur zu. Allein die Beschäftigung mit dem Thema ist schon Horizont erweiternd.