jenseits
Es ist der 31.12. und es scheint die Sonne, als gäbe es all die grauen und die im Hochnebel sitzenden Tage nicht.
Bald liegt das Jahr 2021 jenseits der Datumsgrenze. Für mich war es das Jahr, in der die Schreibende ihren Platz bekommen hat. Oder zumindest mal ihre Identität, wenn ich zugeben muss, dass ich zeitlich tatsächlich immer noch nicht klotze. Aber ich habe sie gewürdigt, als eine, die mich zeitlebens begleitet und ohne die ich überhaupt nicht sein kann. Also genau besehen, schreibt sie ständig mit, manchmal landet etwas davon auf dem Blog.
die Schreibende: I love you anyway, wusstest du das.
ich: vielleicht kannst du Gedanken lesen, gerade habe ich dich innerlich als Größe in meinem Leben gewürdigt und dass mir eine Existenz ohne dich schlicht unvorstellbar ist.
die Schreibende: ja, mmhh, danke, aber ich meinte, diesen Satz, den habe ich von Charles Eisenstein gehört. Der sagte, dass wir alle ein Bild von uns und der Welt kreieren, für das wir Bestätigung wollen. Wir lieben die Antworten, die wir gefunden haben und wir lieben unser Wissen. Pass auf, jetzt kommt es, und nur, wenn wir das Gefühl haben, das wir jenseits unseres Bildes geliebt werden, können wir darauf verzichten, Recht behalten zu müssen. Also ich muss nicht länger glauben, dass ich zu kurz komme bei Dir, wenn ich spüre, I love you anyway, ist das nicht weltbewegend. Und wenn ich nicht mehr darauf bestehen muss, dass ich in deinem Leben zu kurz komme, dann sieht die Welt gänzlich anders aus. Weil ich davor nur die Beweise gesammelt habe, dass Du nicht vollständig zu mir stehst.
ich: wow, wenn die Worte von Charles Eisenstein bei allen eine so durchschlagende Wirkung hätten wie bei dir, dann sähe die Welt anders aus.
die Schreibende: mach dich nicht über mich lustig, sonst muss ich doch wieder anfangen zu quengeln.
ich: nein, nein, ich bin ehrlich beeindruckt, zumal ich ja von der anderen Seite des Mondes gekommen bin und wir uns hier und heute getroffen haben.
die Schreibende: wir waren ganz schön lange unterwegs. Im Oktober haben wir uns das letzte Mal auf dem Blog gemeldet.
ich: ja, ich weiß.
die Schreibende: außerdem kommen wir von der gleichen Seite des Mondes.
ich: ja, ich weiß. aber unterschiedliche Wege sind wir trotzdem gegangen.
die Schreibende: ja, du wolltest unsere gemeinsamen Texte zu Corona dem worldwideweb vorenthalten, deshalb gab es die lange Pause, weise oder feige, ich weiß es nicht.
ich: du kennst meine Selbstrettung in dieser Sache doch, ich positioniere mich jenseits richtig und falsch
die Schreibende: so kann man sich auch herausreden. Aber nein, ich will ja heute nicht quengeln, auch wenn es noch ungewohnt ist. Und etwas von Charles Eisenstein bringst du ja auch ein mit deinem jenseits von richtig und falsch. Wir können uns gegenseitig stärken, um uns gelassen im Nicht Wissen aufzuhalten. Wenn wir unsere Denkkäfige dekonstruieren, dann kann eine neue Information zu uns gelangen. Allow the mystery to touch us. Sagt Eisenstein. Ist das nicht ein schöner Satz.
Ansonsten sieht die Welt einfach genau so aus, wie die Brille, die Du aufhast. Alles jenseits Deines Brillenfeldes fällt vom Radar.
ich: ja, ich kann dir folgen, als Therapeutin kann ich die Traumabrille tragen, die Polyvagalbrille, die Egostatebrille oder meine eigene, oder ich kann ein Problem verhaltenstherapeutisch, systemisch, psychoanalytsich erklären, oder philosopisch, archaisch, grundlegend, metaphysisch. Wie wir als Spezies Mensch kreativ sind und unser Gehirn eigenmächtig optimale Anpassungsleistung und Überlebensstrategien entwickelt. Schon faszinierend.
die Schreibende: I love you anyway. Auch wenn Du genial bist und glaubst, dieses differenzierte Denken hier zum Besten geben zu müssen.
ich: sorry. Mein Gehirn ist eben meine Überlebensstrategie und es übernimmt schnell und feuert vernetzend darauf los.
die Schreibende: auch diese Brille, die du gerade trägst, hängt von der Geschichte ab, die du dir erzählst. Und dann liefert dir die Wirklichkeit magisch alle Beweise, alle Informationen gelangen zu dir, die perfekt ins Bild passen. Also wähle wirklich sorgfältig, welche Brille du trägst.
ich: du machst mich noch ganz nervös mit den vielen unterschiedlichen Brillen und das alles nur Geschichten sind. Gerade leben wir ja in einer Welt, da wollen die mit den unterschiedlichen Brillen nichts mehr miteinander zu tun haben. Weil die mit den anderen Blickwinkeln, die sind einfach dumm und die muss man meiden, allein schon deshalb, dass der eigene Blick nicht getrübt wird.
die Schreibende: genau, du kannst die Spaltungsbrille aufziehen, aber du kannst auch das Verbindende sehen.
ich: Jetzt komm mit nicht bei jedem Satz, den ich von mir gebe, dass das eine Brille ist.
Die Einen erzählen mir, wen sie persönlich kannten, der an den Folgen der Impfung gestorben ist, die anderen, wer jung an Corona gestorben ist. Beides die überraschend gleiche Geschichte, jemand stirbt auf tragische unerwartete Weise und die emotionale Reaktion ist Angst. Gegen Angst hilft Sicherheit. Sicherheit bekomme ich, wenn ich das Richtige denke und tue. Richtig ist, was für mich die überzeugendsten Erzählungen sind: die Wissenschaft, die Mehrheit, die Menschheit. Und weil es um Leben und Tod geht, müssen die, die das Falsche denken abgewehrt und bekämpft werden. So langsam macht alles einen Sinn.
die Schreibende: merkst du eigentlich, dass du genau das auch gerade tust? Du versuchst mit deinem Kopf an Boden zu gewinnen. Einzig denkend Lösungen zu finden ist nur selten die passende Strategie.
ich: come on, jetzt lehnst du dich aber weit aus dem Fenster.
die Schreibende: ja bei dir als Oberdenkerin, muss ich sogar riskieren aus dem Fenster zu fallen, dass du mich bemerkst.
ich: ist ja schon gut, demontiere mich ruhig, aber die Erkenntnis, das Angst zu absoluten Erzählungen führt, finde ich trotzdem bestechend. Dann muss ich Recht behalten, um mich sicher zu fühlen.
Noch eine Frage, die mich umtreibt. Was mache ich in einem Notfall, bei dem ich schnell handeln muss, es brennt, oder ein Schiff ist in Seenot? Ist es nicht menschlich, das zu tun, wonach meine Wahrscheinlichkeit zu überleben am größten ist? Also würde ich dann nicht das machen, was ich mit meinem zur Verfügung stehenden Wissen für das Richtige halte?
die Schreibende: ja, spannende Frage. Das zur Verfügung stehende Wissen. Das ist der Schlüssel. Wenn ich Eisenstein richtig verstanden habe, dann brauchen wir einen anderen Zugang zu Wissen. Also wir sollten uns nicht mit den ersten Antworten zufriedengeben, sondern immer nach den darunter liegenden Fragen Ausschau halten.
ich: ja schon gut, nur, was mache ich, wenn ich schnell handeln muss?
die Schreibende: dich öffnen für unorthodoxe Eingebungen, Intuition, deinen Erfahrungsschatz und das, was größer ist, als du selbst. Schärfe deine Sinne, tue das Mögliche und finde Frieden mit dem Unmöglichen. Vertraue.
ich: hey, das sind ja richtig spirituelle Anwandlungen.
die Schreibende: ja, ich folge dir darin. Du bist ja die Meditierende von uns beiden. Und ja, für mich sind Wissenschaft und Spiritualität keine Gegensätze.
ich: jetzt hast Du aber die wirklich die komplexe Brille auf.
die Schreibende: Komm lass uns doch im nächsten Jahr Brillen tragen, mit denen wir ganz neue Räume erblicken und betreten.
ich: bin ich dabei. Und immer wieder Brillen tauschen. Damit die Welt zwischen drinnen ganz anders aussehen kann.
die Schreibende: auf ein wildes, erhellendes, Radien vergrößerndes, unfassbares, magisches, leichtes, tiefes Jahr 2022
ich: auf ein Jahr, in dem wir unsere Denkgewohnheiten riskieren und Schritte in unbekannte Länder machen
die Schreibende: auf ein lebendiges, feuriges, sternschnuppengesegnetes, freudiges
ich: verbundenes, präsentes, reinigendes, erneuerndes, liebendes
die Schreibende: I love you anyway
ich: I love you anyway