Endlich war es soweit. Die Schulöffnung rückte in greifbare Nähe.
Meine Jugendlichen zu Hause, die wollten wieder in die Schule. Aber einfach in die Schulen, weil sie wieder geöffnet sind, nein, so einfach war es nicht.
Freitag zuvor kam meine Tochter aufgewühlt aus ihrem Zimmer nach ihrem online Unterricht. Einige Mädels wollten sich ungern testen lassen. Der Lehrer echauffierte sich. Er finde es ist asozial, sich nicht testen zu lassen und eine Mutter, die sich in den online Unterricht einmischte, ließ verlauten, dass wir mit jedem Test, den wir durchführen, ein Kind in Afrika retten. Mein Sohn kommentierte die Aussage: „Das ist Bull Shit“.
Ich erzähle auf dem Markt davon und A findet, im Prinzip hat der Lehrer Recht, sich nicht testen zu lassen ist asozial, nur so darf man das den Kindern natürlich nicht sagen.
Der Vater meiner Jugendlichen ist in Sorge, weil er aus verlässlichen Quellen weiß, dass die Teststäbchen verseucht sind, und er wird in keinem Fall sein Einverständnis geben, dass sich die Kinder testen lassen. Am Ende übernimmt nämlich niemand die Haftung. Weder die Schule, noch die Politik.
Ich erzähle in meiner Eisbadengruppe, bevor wir ins kalte Wasser steigen, von meinen Corona Episoden und B hat die Teststäbchen unter dem Mikroskop untersucht, was wiederum C dazu bringt, sich aufzuregen und B nicht mehr ausreden zu lassen. Ich will baden gehen. Das eiskalte Wasser tut mir gut.
Mein Sohn findet, dass er soll, was er nicht soll. Nicht lustig. Aber er macht, was er für richtig hält.
Alle finden etwas.
C findet, es gibt nur eine richtige Haltung, wenn es um die Kinder geht. Sie zu ermutigen, alles soziale Leben zu leben und es sich in keinem Fall nehmen zu lassen. Sie sind nur einmal Kinder und Jugendliche. Und es war völlig falsch, dass ich meine Tochter bat, ihre Übernachtungsparty zu verschieben.
D findet, die Schulen sollen doch jetzt mal zu bleiben, da werden doch die LehrerInnen und die Eltern geopfert, die dann an Corona in der Folge erkranken.
E findet, wer seine Verantwortung als Eltern ernst nimmt, der muss seine Kinder vor den verseuchten Teststäbchen schützen.
F findet, alle die so etwas glauben, können mal die Männer vom Mars grüßen.
G findet schwarze Partikel auf den Teststäbchen unter dem Mikroskop.
H findet es unfassbar, Menschen ohne Grund noch zusätzlich in Angst zu versetzen.
I findet es grotesk, wie das in der Schule abläuft. Filmreif. Sie kann den Schülern auch keine Antwort geben, dass die zweite Klassenhälfte sich nicht testen lassen muss, wenn sie zum Arbeiten schreiben dazu kommt und warum sie jetzt alle trotzdem eine Maske auflassen und im Abstand sitzen müssen, wo doch die Testergebnisse negativ sind.
J findet, sich impfen zu lassen, ist ein sozialer Akt, gefährdete Menschen zu schützen.
K findet es gemein, dass immer die jungen Menschen an allem schuld sind, die nur Party feiern würden. Von denen, die ihre kostbare Lebenszeit allein vor Bildschirmen sitzen und dabei depressiv werden, von denen spricht niemand.
L ist verzweifelt, weil der Vater sein Einverständnis nicht gibt, sich testen zu lassen und der Lehrer alle Testverweigerer als asozial und das Klassenprojekt gefährdend bezeichnet.
M findet es schwierig, weil die Oma im Haus lebt und sich nicht impfen lässt, er aber gern wieder in die Schule gehen will.
N hat unerwartet einen kurzfristigen Impftermin bei ihrer Homöopathin bekommen und ist ganz glücklich.
O ist schon zweimal geimpft und erleichtert, dass diese Testerei jetzt ein Ende hat. Und Ausschläge hat sie auch schon davon, den ganzen Tag mit der Maske herumzulaufen.
P Q R S T U V W X Y Z haben auch noch eine eigene Meinung.
Mein Dschungel schillert, schimmert und wimmert, nachts werde ich gefilzt und bedroht, nichts ist greifbar und alle kämpfen an ihren Fronten.
Ich wische durch eine Straßensperre durch, sie rufen mir nach, ich solle stehen bleiben, ich ignoriere sie und renne. Der nächsten uniformierten Einheit in die Arme. 5 Männer, die alle genau gleich aussehen, geklonte Seitenscheitelmänner, die höhnisch lachen. „Ich hätte wohl gedacht, ich könne machen, was ich wolle“. Ich muss zurück, muss mich durchsuchen lassen und habe ganz viele Taschen dabei, eine in der anderen und in der Hosentasche habe ich auch noch eine Tasche. Ich staune selbst. Lauter leere Taschen. Sie gehören zum Teil meiner Mutter und Oma, andere kenne ich gar nicht. Alle Taschen werden in einen gelben Sack gestopft, ein ganzer Sack voll, ich soll mir merken, vor welchem Kühlschrank der steht, ich bekäme ja alles wieder zurück. Erst jetzt sehe ich, dass alles voller Kühlschränke ist, die ähnlich aussehen. Ich versuche mir die Entfernung meiner Habseligkeiten von dem markantesten Kühlschrank einzuprägen und bezweifle, dass es funktionieren wird.
Ich wache auf, bevor es hell ist. Mein Stift wird die Machete in meinem Corona Dschungel. Ich komme auf keine Lichtung. Ich verzweifele. Ich sehe die Schlangen, die giftigen, ein Biss und es endet tödlich, die sie mir beschreiben. Überall lauern giftige Schlangen. Und da finde ich die Angst komplett begründet und nachvollziehbar. Und ich erkenne die unkontrollierbare Vermehrung der Population der Affen. Sie werden den Menschen ausrotten. Natürlich ist das wahnsinnig bedrohlich. Ich kann die Sorge eins zu eins spüren, wenn ich meinen Blick auf die Affen ausrichte. Der Dschungel ist einfach ein gefährlicher Ort, ein lebensgefährlicher Ort. Als Mensch in einem Dschungel ist mein Leben gefährdet. Als Mensch ist mein Leben gefährdet. Ich muss alles tun, um mich in Sicherheit zu bringen. Doch bloß wo und wie? Schlangen und Affen und Panther und giftige Spinnen. Aber die Schlangen finden, dass der Mensch sie ausrottet und die Affen finden es an der Zeit, dem Menschen mal klar zu machen, dass sie den Zenit ihrer Macht schon lange überschritten haben. Jetzt fühle ich auch noch, was die Schlangen und Affen empfinden. In meinem Dschungel schillert, schimmert und wimmert es.
Plötzlich ist der Corona Dschungel nur noch das Brombeergestrüpp hinter dem Straßenbahndepot. Ich bin das Mädchen, das mit ihren Freundinnen die Gänge darin entdeckt und weiter freigelegt hat, bis zur Höhle, die das Hauptquartier geworden ist. Überall tun sich Wege und Gänge auf. Ich bin auf allen vieren unterwegs, nah am Boden, habe einige Kratzer von den Dornen. Aber im Hauptquartier ist es heller und höher. Ich sehe die Gänge zu den Menschen, die ich spüren kann, jenseits ihrer Ängste. Ich sehe, wie alle ihre Lösungen finden.
Auch wir fanden Lösungen. Meine Kollegin half uns mit einem Spucktest aus. Damit respektierte meine Tochter ihren Vater. Mein Sohn entschied, dass er alt genug sei, eigene Entscheidungen zu treffen und eine Unterschrift reichte aus.
Jetzt sind die Schulen wieder geschlossen. Heute war der letzte Schultag, für die, die gerade in die Schule gehen durften.
Doch ich finde meine Lebensqualität mitten im Corona Dschungel, finde dass es der Frühling krachen lässt und schreibe Gedichte. Jetzt muss ich mir nur noch zurecht schreiben, wie ich damit subversiv politisch bin oder muss mir eingestehen, dass das Hauptquartier der Schreibenden das Unlösbare flieht und das Lebbare feiert. Wenn ich bei der Mehrdeutigkeit von Welt lande, kann ich mich wieder politisch schreiben, aber das ein andermal.
