Kolumnen schreiben
Es ist schon Mai. Die Linden vor dem Fenster sind alle grün gewandet, die Temperaturen schwanken. Mal ist es viel zu kalt, schwimmen im Seerhein fühlt sich immer noch wie eisbaden an. Es folgen plötzliche Fluchtimpulse in der Sonne, wenn es so heiß wird, dass ich mich freiwillig in den Schatten verziehe.
Die Schreibende stürmt auf mich zu, die ich gemütlich meinen Kaffee trinke.
die Schreibende: Hey, diesmal habe ich etwas zu erzählen, ich war nämlich gestern auf einem Tagesseminar zum „Kolumnen schreiben, die es in sich haben“.
ich: Willst du auch einen Kaffee?
die Schreibende: Ich will dir von dem Seminar erzählen und davon, wie wir unseren Blog fokussierter konzipieren können.
ich: Das eine schließt das andere ja nicht aus, willst du einen Kaffee?
die Schreibende: Nein Danke, du immer mit deinem Kaffee.
ich: Willst du etwas anderes trinken?
die Schreibende: Nein, ich will dir von gestern erzählen, ist das noch nicht bei dir angekommen?
ich: Da ist ja ganz schön Dampf dahinter, wenn du noch nicht mal Zeit hast, etwas zu trinken. Ich werde gleichzeitig zuhören und meinen Kaffee trinken.
die Schreibende: Genau das ist vielleicht dein Problem. Du machst zu viel gleichzeitig, statt dich mal auf eine Sache zu fokussieren. Aber bevor ich mich wieder darüber aufrege, weil ich immer nur zwischendurch in deinem Leben Aufmerksamkeit bekomme, erzähle ich dir lieber vom gestrigen Seminar.
Es war ziemlich viel Input und ich versuche mal, das für mich Wesentliche herauszuschälen.
Kolumnen sind unverkennbar und einzigartig, weil der Autor bestenfalls auf eine unvergleichlich bestechende Art seine Meinung kundtut, die mir neue Türen öffnet. Form und Stil einer Kolumne können dazu beitragen, dass mir dieses Autoren-Ich in seinem Tonfall vertraut wird, ich mich quasi anfreunde. Wenn die Autorin dann intelligent Gewissheiten in Frage stellt, Wirklichkeit prägnant vorführt, medialen Konsens gegen den Strich bürstet, dann bin ich ganz im Glück.
ich: Naja, darüber sind wir uns doch einig. Es geht ums hinterfragen, befragen, erforschen, untersuchen, weiterdenken.
die Schreibende seufzt, redet dann weiter: Genau! Wunderbar auf unserer Wellenlänge. Vielleicht lohnt es zu wissen, was dazu beiträgt, dass eine Kolumne mich erreicht.
Und jetzt kommt meine Erkenntnis für uns. Es braucht ein klares Konzept und eine klare Form. Haben wir das? Nein, das haben wir nicht.
ich: Ich hasse es, mich an klare Konzepte und Formen zu halten.
die Schreibende: Aha. Merkst du etwas?
Je mehr wir über nichts und alles schreiben, vom 100sten ins 1000ste kommen, wild und experimentierfreudig unterwegs sind, desto weniger packen wir die LeserInnen.
ich: Wild und experimentierfreudig, kann das nicht unser Konzept und unsere Form sein? Ich liebe wild und experimentierfreudig und du bisher auch.
die Schreibende: Voll auf Krawall gebürstet.
Hör mir doch einfach mal zu.
Die erfahrende Michèle Binswanger, die den Kurs gegeben hat, reagierte freudig auf Konzepte, bei denen Teilnehmerinnen klare Themen vorschlugen, die die Kolumnen mit einer Klammer versehen: Haushalt, Leben Nummer 2 jenseits des Erziehungsauftrags. So was. Darunter gab es dann Titel wie, Was mache ich, wenn der Mann zum Staubsauger greift.
Michèle Binswanger hat eine eigene Kolumne vorgelesen aus der vergangenen Woche und daran exemplarisch den Aufbau aufgezeigt. Zum Beispiel mit einem fesselnden szenischen Einstieg den Leser zu holen, das Thema auszulegen, die emotionale Betroffenheit einfließen zu lassen. Im zweiten Teil geht es darum eine zugrundeliegende These zu bearbeiten. Es sind Worte gefallen wie justifier.
ich: Was ist denn das? Muss es alles so akademisch betitelt werden?
die Schreibende: Du bist doch immer die, die die Sachverhalte gern auf der Metaebene betrachtet und durchdringt.
Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es darum, wieso die Leserin weiterlesen soll. Und zum Schluss kommt auf jeden Fall noch die Pointe, die ungewöhnliche Auflösung, die dritte Ebene der Betrachtung oder wie auch immer du es nennen willst.
ich: Klingt sehr nach Unterricht.
die Schreibende: Was dagegen, ganz banal mal etwas dazu zu lernen?
Das Besondere ist doch, von jemanden so Erfahrenem aus dem Arbeitsalltag zu hören und zu bezeugen, wie Ideen zu guten Kolumnen werden. Michèle Binswanger hat zu allen Ideen und der ersten geschriebenen Probekolumne sehr direkt Rückmeldung gegeben.
„Das funktioniert, das funktioniert nicht“.
Wie kann weitergearbeitet werden? Muss die Idee noch konkretisiert werden? Wer muss noch am Konzept feilen, wer kann schon an Formulierungen, Stringenz und Aufbau arbeiten.
Journalistisches Schreiben hat halt von vorneherein einen klaren Fokus:
Wie kann ich meine LeserInnen erreichen und bei der Stange halten?
Lass uns das doch mal üben! Kürzer und Öfter. No risk, no fun.
ich: Ohje, ich glaube, ich bin einfach zu komplex und vertiefend, als dass mir diese Form am Ende liegt.
die Schreibende: Wenn du dich nicht in deinem Erleben von Flow aalen kannst und dir andere auf die Finger schauen und dir sagen, wie du dich verbessern kannst, dann hört bei dir die Liebe auf, oder was?
ich: Genau, dann hört bei mir die Liebe auf. Und der Selbstzweifel übernimmt.
die Schreibende: Come on. Du willst mir doch nicht im Ernst verklickern, dass du dich lieber hinter einer Pseudogenialität versteckst, statt dich auszusetzen und an der Wirklichkeit zu wachsen.
ich: Schon gut, schon gut. Vielleicht läuft ja einfach alles darauf hinaus, dass du dann mehr Zeit brauchst. Nicht mehr nur feelgood Schreiben, sondern Arbeit mit allen Höhen und Tiefen.
Die Schreibende schweigt. Ich schweige. Die Zeit steht still.
ich: Also. Was. Sind. deine. Ideen?
die Schreibende: Meine große Klammer ist die Frage: Wie wollen wir leben?
Und mein eigener Subtext ist, ohne dabei verbrannte Erde und ums Überleben kämpfende Menschen zu hinterlassen.
Allerdings hat sich meine erste Kolumne über Niki de Saint Phalle in eine ganz andere Richtung entwickelt.
ich: Siehste, so ist es doch, da scheitern die Konzepte an der Eigendynamik des Schreibens.
die Schreibende: Ich kann es halt noch nicht. So einfach ist das. Ich bin dabei mich heranzutasten. Zu lernen. Zu scheitern und weiter daran zu arbeiten. Schon mal etwas von Frustrationstoleranz gehört?
ich: Keine Lust auf Frust.
die Schreibende: Du bist ja gut drauf heute.
Ich habe mich zum Beispiel gefragt, ob es zu Beginn leichter ist, persönlicher aus meinem Leben zu schöpfen, statt Ideen und Menschen zu porträtieren. Das ist vielleicht auch zu viel verlangt in einer Kolumne. Dann kamen mir folgende konkretere Überschriften:
Kann mir jemand sagen, wieso es keine Milch mehr in unserem Kühlschrank gibt?
Wie das Leben ohne Auto mich glücklich macht, wenigstens meistens.
Was ist eigentlich aus Jute statt Plastik geworden?
Was wäre eigentlich, wenn alle nur noch alles verschenken würden?
ich: Oft ist Empörung ja der Ausgangspunkt für Kolumnen. Das Autoren-Ich platzt auf die eine oder andere Art und Weise. Peng. Bei dir klingt alles noch ziemlich brav.
die Schreibende: Das ist ja nur eine Ideensammlung. Das sind noch keine Überschriften.
Ich: Texte auf Essenzen reduzieren und dynamisch zu fließen, dass niemand aufhören kann zu lesen, das klingt eigentlich vielversprechend.
die Schreibende: Du bist dabei?
Ich atme tief ein und wieder aus: Klar bin ich dabei. Jede Woche eine kurze Kolumne. Nicht mehr als 3000 Zeichen. Wir wechseln und ab. Du fängst an. Ich reagiere auf deine Kolumne. Ich bin quasi dein Leserinnenbrief. Lass Dich überraschen, was ich mir für ein Leserinnen-ich zulege. Das wird es auf jeden Fall in sich haben.