Leserinnenbrief

zu Kolumne Woche 22 Gefährliche Frauen 2

It’s disgusting.

Also bei aller Liebe zu gefährlichen Frauen. Ich weigere mich, mich in die Psyche einer Mörderin hinein zu begeben. Das hat schon mal eine Professorin versucht. Das Seminar hat sich als ein Fehlgriff entpuppt, weil die Professorin begeistert zu Mörderinnen arbeitete. Wir hatten Pflichtlektüre. Was Frauen zu Mörderinnen macht und was ihre Mordmotive von denen der Männer unterscheiden. 15 Porträts von Frauen, die töteten und wie sie es taten. Eine verpackte den getöteten Gatten in Gefrierbeutel und dann in den Gefrierschrank.

It’s disgusting. Ekelig. Widerlich.

Ich will auch nicht hören, dass das mein Schatten ist.

Die Mörderinnengeschichten haben mich verfolgt. Bei einer Lesung hat eine Seelsorgerin haarklein beschrieben, mit welcher Genugtuung ihr eine Frau während einer offenen Seelsorgesprechstunde erzählte, dass sie ihren Angetrauten vor 30 Jahren mit der Suppenkelle erschlagen hat und nichts daran bereut. Mag sein, dass sie die Seelsorgerin mit ihrer Geschichte quälen wollte, aber dann muss ich mir doch das nicht auf einer Lesung geben. „Hä, was machste jetzt mit mir, mit der Mörderin, die da leibhaftig vor dir sitzt?“, diese Frage interessiert mich nicht.

Nein, nein, nein, ich will mich nicht mit Mörderinnen beschäftigen.

It’s disgusting.

Diese Wünsche, alle zu lieben, alle zu verstehen, das geht doch einfach zu weit. Gewaltverherrlichung ist das. Jawohl. Wo kommen wir denn da hin.

Dorothy Smith, Privatdozentin, Berlin

Hallo Dorothy,

ich verstehe Mord hier als archaisches Motiv, wie es auch in Mythologien und Märchen vorkommt.

Peng.

Dabei handelt es sich um einen Akt der Befreiung, um Wege aus einer Ohnmacht, um die Bereitschaft zu töten im übertragenden Sinne. Es muss etwas Sterben, damit etwas Neues entstehen kann. Bei mir gibt es wahrlich keine Horrorlust. Auch geht es mir nicht um Gewalt. Aber manchmal ist der Weg in etwas Neues nur mit einem radikalen Akt der aufs Ganze geht zu erreichen.

Hochachtungsvoll

Teresa Saltor, die Kolumnistin

Kolumne Woche 22

Gefährliche Frauen 2

Mein Atem stockt und die Spannung ist nicht auszuhalten. Ich spüre sie am ganzen Körper bis in die Haarspitzen, es ist wie, als wäre ich elektrisch aufgeladen. Ich blättere zum Ende des Buches. Ich halte es nicht aus, mich durch alle Wörter hindurch zu lesen, die auf den nächsten hunderten von Seiten stehen, um mich aus diesem Zustand zu erlösen. Es ist zu intensiv. Eingetaucht in die von den Wörtern geschaffenen Welten in dem Buch von Delia Owens im Gesang der Flusskrebse, werde ich Kya, das Mädchen, dass mehr oder weniger allein im Marschland, in einem Sumpfgebiet überlebt. Ich staune mit ihr über die Wesen, die dieses Land bevölkern, egal ob Vögel, Insekten oder Fische. Bei der Annäherung an die Menschen, spüre ich die enge in meinem Herz, wünsche mir so sehr, dass ihr vernarbtes Beziehungsgewebe mal Heilung erfahren darf und sie nicht wieder Gewalt, Demütigung und Verlust erfährt.

Ich überfliege die Zeilen am Ende, die mir nicht alles offenbaren, sich in diesem Moment nicht ganz entschlüsseln lassen und ich will es ja auch gar nicht wirklich wissen. Ich will nur eine Pause aus der unerträglichen Spannung, will, dass es gut ausgeht, für den Menschen, den ich begonnen habe zu lieben, der mir beim Lesen ans Herz wächst. Sie stirbt am Ende, lese ich heraus, aber es fühlt sich nicht ganz dramatisch an. Auch wenn ich sie vermissen werde. Manchmal ist es schwer zu fassen, wie ich Menschen vermisse, die es gar nicht gab, die nur erfunden sind und doch sind sie für mich so fühlbar geworden, dass sie existieren wie Kya Clark, die sich so geschickt durch die Gewässer des Marschlandes bewegt und ihren Bewegungsradius immer weiter vergrößert. Sie übertritt darin alle Schwellen, wird vom 6-jährigen Mädchen zur jungen Frau.  Es gibt niemanden, der ihr etwas beibringt, außer ihr Körper selbst. Sie ist ihren körperlichen Veränderungen und Empfindungen ganz ausgeliefert, es gibt nur die Erfahrung am eigenen Leib, es gibt nur Natur als Lehrmeisterin.  
In welchem Umfang Kya für ihr Überleben kämpft, erfahre ich erst als ich mich Seite für Seite überlassen habe.

Mir wird klar, gefährliche Frauen haben keine Wahl.
Mir wird klar, es gibt Geschichten, in denen ich einer Frau beistehe, die bis zum Äußersten geht, weil ich darin die befreiende Kraft eines ungezähmten und instinktiven bejahenden Lebens spüre.
Mir ist klar, wäre ich die Richterin gewesen, hätte ich anders entscheiden müssen. Aber Kya war schlauer als die, die versucht haben, Recht und Ordnung ihrer kleinen Welt aufrecht zu erhalten.
Mir wird klar, es braucht mehr Geschichten, die uns abverlangen, uns in die Menschen einzufühlen, die fremd und bedrohlich sind, die unsere Wertesysteme erschüttern und die wir dafür am liebsten aus unserem Leben verbannen wollen.

Wieso kann ich im Leben nicht voraus blättern? Die unerträgliche Leichtigkeit und Schwere muss ich aushalten. Wie geht es weiter? Wort für Wort. Atemzug für Atemzug. Braucht die Welt mehr gefährliche Frauen?

Was heißt es, meine Geschichte als gefährlich entschiedene Frau weiter zu schreiben?

Das Kolumnen Bild ist von Marinella Senatore aus der Ausstellung Narrative Dance in Salzburg

Kolumne Woche 20

Gefährliche Frauen 1

Ein Schuss knallt. Pinke Farbe läuft über einen in Gips modellierten Männerkopf. Eine junge Frau in einem weißen enganliegenden Kampfanzug spannt den Gewehrlauf und legt das Gewehr erneut an ihre Wange, zielt, drückt ab. Diesmal läuft blaue Farbe aus der Einschussstelle herunter. Peng. Peng. Peng. Sie lässt sich nicht aufhalten. Sie reicht das Gewehr weiter. Andere zielen auf das Relief.

Das habe ich nicht vergessen. Eine Szene aus einer Dokumentation über Niki des Saint Phalle, die ich mir während meiner eigenen Jugend angesehen habe. Eine Frau, die mit einer fraglosen Entschiedenheit zum Gewehr greift und schießt. Eine Frau, die sich nicht aufhalten lässt. Eine Frau, die die Konventionen sprengt. Eine Frau, die ihre Kinder bei ihrem Ehemann zurücklässt. Eine Frau, die von sich sagt, ohne die Kunst hätte ich nicht überlebt.

Ich erinnere mich an das Kribbeln in mir, als ich mir diese wilde schießende Frau ansehe, an die Spannung, die diese Szenen bei mir auslösen. Ich fand es großartig, befreiend und ein Teil von mir konnte damit nicht umgehen. Darf eine Frau das, die abknallen, die sie zum Opfer gemacht haben? Das Kribbeln ist geblieben.

Ich stehe in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, die mit einer großen schwerelosen bunten Nana auf pinkem Grund für die Retrospektive über Niki de Saint Phalle wirbt. Alles ist üppig an dieser Nana, der Bauch, die Brüste, das ganze Wesen. Ausufernd, entgrenzend. Hier in der Ausstellung bleibe ich an einer Lithographie hängen. Mit einer runden Schreibschrift steht da inmitten von schmelzenden Gletschern, sterbenden Korallenriffen und gefällten Bäumen: Stop the destruction of mother nature. Global warming is increasing more than expected, datiert 2001. Shit. 2001. Diese eindringliche Warnung wurde vergessen. Immer wieder vergessen. Gern vergessen. Vergessen gleich verdrängt. Auch ich? Lieber weiter wie bisher. Größer, weiter, schneller.

Was heißt es, Niki de Saint Phalle zu folgen? Sind die Aktionen der letzten Generation die geeigneten Mittel?

Aus der Vergessenheit herausgeschossen haben sich die Informationen zum Klimawandel allemal, die wie Feuerwerkskörper auf uns herunterregnen und verglühen, bis sie bei uns angekommen sind. Peng. Peng. Peng. Ein großes Feuerwerk der Informationen.

Geht es darum, die eigenen Kunstwerke mutig zu zerschießen? Peng. Peng. Peng. Den Gewehrlauf richte ich auf kunstvolle Gebäude, in denen sich mein Denken bewegt. Wissenschaft. Peng. Bildung. Peng. Reichtum ist Macht. Peng. Ich bin eine ohnmächtige Frau in patriarchalen Strukturen. Peng. Kollektive Traumatisierung. Peng. Die Grenzen des Wachstums. Peng. Unsere Demokratie schenkt Sicherheit und Freiheit. Peng.

Die Farben laufen die Leinwand hinunter. Es entstehen unkontrollierte Fließbilder. Ich nehme das Gewehr vom Anschlag und betrachte das neue Fließen. Darunter bleibt eine Frage stehen. Damit ich sie nicht mehr vergesse. Ich vertraue mich den mit der Schwerkraft fließenden Farben an.

die Schreibende und ich 17

Kolumnen schreiben

Es ist schon Mai. Die Linden vor dem Fenster sind alle grün gewandet, die Temperaturen schwanken. Mal ist es viel zu kalt, schwimmen im Seerhein fühlt sich immer noch wie eisbaden an. Es folgen plötzliche Fluchtimpulse in der Sonne, wenn es so heiß wird, dass ich mich freiwillig in den Schatten verziehe.

Die Schreibende stürmt auf mich zu, die ich gemütlich meinen Kaffee trinke.

die Schreibende: Hey, diesmal habe ich etwas zu erzählen, ich war nämlich gestern auf einem Tagesseminar zum „Kolumnen schreiben, die es in sich haben“.

ich: Willst du auch einen Kaffee?

die Schreibende: Ich will dir von dem Seminar erzählen und davon, wie wir unseren Blog fokussierter konzipieren können.

ich: Das eine schließt das andere ja nicht aus, willst du einen Kaffee?

die Schreibende: Nein Danke, du immer mit deinem Kaffee.

ich: Willst du etwas anderes trinken?

die Schreibende: Nein, ich will dir von gestern erzählen, ist das noch nicht bei dir angekommen?

ich: Da ist ja ganz schön Dampf dahinter, wenn du noch nicht mal Zeit hast, etwas zu trinken. Ich werde gleichzeitig zuhören und meinen Kaffee trinken.

die Schreibende: Genau das ist vielleicht dein Problem. Du machst zu viel gleichzeitig, statt dich mal auf eine Sache zu fokussieren. Aber bevor ich mich wieder darüber aufrege, weil ich immer nur zwischendurch in deinem Leben Aufmerksamkeit bekomme, erzähle ich dir lieber vom gestrigen Seminar.

Es war ziemlich viel Input und ich versuche mal, das für mich Wesentliche herauszuschälen.

Kolumnen sind unverkennbar und einzigartig, weil der Autor bestenfalls auf eine unvergleichlich bestechende Art seine Meinung kundtut, die mir neue Türen öffnet. Form und Stil einer Kolumne können dazu beitragen, dass mir dieses Autoren-Ich in seinem Tonfall vertraut wird, ich mich quasi anfreunde. Wenn die Autorin dann intelligent Gewissheiten in Frage stellt, Wirklichkeit prägnant vorführt, medialen Konsens gegen den Strich bürstet, dann bin ich ganz im Glück.

ich: Naja, darüber sind wir uns doch einig. Es geht ums hinterfragen, befragen, erforschen, untersuchen, weiterdenken.

die Schreibende seufzt, redet dann weiter: Genau! Wunderbar auf unserer Wellenlänge. Vielleicht lohnt es zu wissen, was dazu beiträgt, dass eine Kolumne mich erreicht.

Und jetzt kommt meine Erkenntnis für uns.  Es braucht ein klares Konzept und eine klare Form. Haben wir das? Nein, das haben wir nicht.

ich: Ich hasse es, mich an klare Konzepte und Formen zu halten.

die Schreibende: Aha. Merkst du etwas?
Je mehr wir über nichts und alles schreiben, vom 100sten ins 1000ste kommen, wild und experimentierfreudig unterwegs sind, desto weniger packen wir die LeserInnen.

ich: Wild und experimentierfreudig, kann das nicht unser Konzept und unsere Form sein? Ich liebe wild und experimentierfreudig und du bisher auch.

die Schreibende: Voll auf Krawall gebürstet.
Hör mir doch einfach mal zu.

Die erfahrende Michèle Binswanger, die den Kurs gegeben hat, reagierte freudig auf Konzepte, bei denen Teilnehmerinnen klare Themen vorschlugen, die die Kolumnen mit einer Klammer versehen: Haushalt, Leben Nummer 2 jenseits des Erziehungsauftrags. So was. Darunter gab es dann Titel wie, Was mache ich, wenn der Mann zum Staubsauger greift.

Michèle Binswanger hat eine eigene Kolumne vorgelesen aus der vergangenen Woche und daran exemplarisch den Aufbau aufgezeigt. Zum Beispiel mit einem fesselnden szenischen Einstieg den Leser zu holen, das Thema auszulegen, die emotionale Betroffenheit einfließen zu lassen.  Im zweiten Teil geht es darum eine zugrundeliegende These zu bearbeiten. Es sind Worte gefallen wie justifier.

ich: Was ist denn das? Muss es alles so akademisch betitelt werden?

die Schreibende: Du bist doch immer die, die die Sachverhalte gern auf der Metaebene betrachtet und durchdringt.
Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es darum, wieso die Leserin weiterlesen soll. Und zum Schluss kommt auf jeden Fall noch die Pointe, die ungewöhnliche Auflösung, die dritte Ebene der Betrachtung oder wie auch immer du es nennen willst.

ich: Klingt sehr nach Unterricht.

die Schreibende: Was dagegen, ganz banal mal etwas dazu zu lernen?
Das Besondere ist doch, von jemanden so Erfahrenem aus dem Arbeitsalltag zu hören und zu bezeugen, wie Ideen zu guten Kolumnen werden. Michèle Binswanger hat zu allen Ideen und der ersten geschriebenen Probekolumne sehr direkt Rückmeldung gegeben.
„Das funktioniert, das funktioniert nicht“.
Wie kann weitergearbeitet werden? Muss die Idee noch konkretisiert werden? Wer muss noch am Konzept feilen, wer kann schon an Formulierungen, Stringenz und Aufbau arbeiten.
Journalistisches Schreiben hat halt von vorneherein einen klaren Fokus:
Wie kann ich meine LeserInnen erreichen und bei der Stange halten?
Lass uns das doch mal üben! Kürzer und Öfter. No risk, no fun.

ich: Ohje, ich glaube, ich bin einfach zu komplex und vertiefend, als dass mir diese Form am Ende liegt.

die Schreibende: Wenn du dich nicht in deinem Erleben von Flow aalen kannst und dir andere auf die Finger schauen und dir sagen, wie du dich verbessern kannst, dann hört bei dir die Liebe auf, oder was?

ich: Genau, dann hört bei mir die Liebe auf. Und der Selbstzweifel übernimmt.

die Schreibende: Come on. Du willst mir doch nicht im Ernst verklickern, dass du dich lieber hinter einer Pseudogenialität versteckst, statt dich auszusetzen und an der Wirklichkeit zu wachsen.

ich: Schon gut, schon gut. Vielleicht läuft ja einfach alles darauf hinaus, dass du dann mehr Zeit brauchst. Nicht mehr nur feelgood Schreiben, sondern Arbeit mit allen Höhen und Tiefen.

Die Schreibende schweigt. Ich schweige. Die Zeit steht still.

ich: Also. Was. Sind. deine. Ideen?

die Schreibende: Meine große Klammer ist die Frage: Wie wollen wir leben?
Und mein eigener Subtext ist, ohne dabei verbrannte Erde und ums Überleben kämpfende Menschen zu hinterlassen.
Allerdings hat sich meine erste Kolumne über Niki de Saint Phalle in eine ganz andere Richtung entwickelt.

ich: Siehste, so ist es doch, da scheitern die Konzepte an der Eigendynamik des Schreibens.

die Schreibende: Ich kann es halt noch nicht. So einfach ist das. Ich bin dabei mich heranzutasten. Zu lernen. Zu scheitern und weiter daran zu arbeiten. Schon mal etwas von Frustrationstoleranz gehört?

ich: Keine Lust auf Frust. 

die Schreibende: Du bist ja gut drauf heute.
Ich habe mich zum Beispiel gefragt, ob es zu Beginn leichter ist, persönlicher aus meinem Leben zu schöpfen, statt Ideen und Menschen zu porträtieren. Das ist vielleicht auch zu viel verlangt in einer Kolumne. Dann kamen mir folgende konkretere Überschriften:

Kann mir jemand sagen, wieso es keine Milch mehr in unserem Kühlschrank gibt?

Wie das Leben ohne Auto mich glücklich macht, wenigstens meistens.

Was ist eigentlich aus Jute statt Plastik geworden?

Was wäre eigentlich, wenn alle nur noch alles verschenken würden?

ich: Oft ist Empörung ja der Ausgangspunkt für Kolumnen. Das Autoren-Ich platzt auf die eine oder andere Art und Weise. Peng. Bei dir klingt alles noch ziemlich brav.

die Schreibende: Das ist ja nur eine Ideensammlung. Das sind noch keine Überschriften.

Ich: Texte auf Essenzen reduzieren und dynamisch zu fließen, dass niemand aufhören kann zu lesen, das klingt eigentlich vielversprechend.  

die Schreibende: Du bist dabei?

Ich atme tief ein und wieder aus: Klar bin ich dabei. Jede Woche eine kurze Kolumne. Nicht mehr als 3000 Zeichen. Wir wechseln und ab. Du fängst an. Ich reagiere auf deine Kolumne. Ich bin quasi dein Leserinnenbrief. Lass Dich überraschen, was ich mir für ein Leserinnen-ich zulege. Das wird es auf jeden Fall in sich haben.

die Schreibende und ich 16

Karsamstag, mein Osterfeuer brennt im Kamin. Ich sitze davor und schaue in die Flammen. Meine Ostermeditation. Die Glocken läuten. Die Schreibende kommt ins Wohnzimmer.

die Schreibende: Frohe Ostern, du sitzt da ja ganz andächtig.

ich: Ja, ich fühle mich auch irgendwie andächtig. Auf jeden Fall geht mir viel durch den Körper.

die Schreibende: Durch den Körper. Das gefällt mir, ist ja auch viel besser, als wenn alles nur durch den Kopf geht.

ich: Ich bin immer noch mit den Erfahrungen aus the week beschäftigt, habe ich dir davon schon erzählt.

die Schreibende: Naja, ich habe schon mitbekommen, dass du dreimal in einer Woche die gleichen Freunde zu Besuch hattest und dass ihr Filme geschaut und darüber gesprochen habt. Richtig konspirativ hat das gewirkt.

ich: Ja, ein Paar aus Belgien und Frankreich, Frédéric Laloux und Helene Gerin, die jetzt in einem Ecovillage bei New York leben, haben dieses Format, dass sie the week nennen, ins Leben gerufen. Und tatsächlich geht es darum, in einer Gruppe innerhalb einer Woche eine dreiteilige Dokumentation anzuschauen und sich darüber austauschen. Angefangen hat es, als die beiden begannen sich absichtsvoll zu vertiefen in das, was durch den Klimawandel auf uns zukommt. Sie wollten einfach wissen, was die Zukunft für sie und ihre Kinder bringt, um sich nicht mit der Ausrede davon zu stehlen, sie hätten nichts gewusst, wenn ihre Kinder mal fragen, was sie beigetragen haben, um die Erde bewohnbar zu erhalten. Die Erkenntnisse wirklich zuzulassen, das war erschütternd. Sie haben sie mit Freunden geteilt, was sehr emotional war. Erstaunlicher Weise hat es ihnen Energie und Entschlossenheit geschenkt, ihren Weg zu finden, um zu einer zukunftsfähigen Welt beizutragen. So war es am Ende auch befreiend. Immer haben die beiden versucht zu verstehen, wie es kommt, dass soviel Wissen vorhanden ist und so wenig Handlungen folgen. Bei ihnen war die emotionale Betroffenheit ein Schlüssel, dass ein inneres Bedürfnis entstand, wirklich das eigene Potential zu nutzen, um die Welt zu einem zukunftsfähigen Ort zu machen. Und es machte auch Freude, verband sie mit vielen interessanten, unterschiedlichen Menschen in Europa und Nordamerika, mit denen sie sich gemeinsam auf dem Weg in die Richtung lebenswerte Zukunft machten. Sie fokussierten sich auf Europa und Nordamerika, weil sie dort ihre kulturelle und gesellschaftliche Beheimatung sehen und deshalb fundierter beitragen konnten. Die Freunde haben wiederum ihre Freunde dazu eingeladen. Um diesen Prozess auch noch mehr Menschen als den Freunden der Freunde zugänglich zu machen, produzierten sie im Zeitraum von drei Jahren drei Dokumentationen mit großer Sorgfalt, um den eigenen Prozess der emotionalen Betroffenheit durch die Konfrontation mit den relevanten zur Verfügung stehenden Informationen im Wohnzimmer der Zuschauenden erlebbar zu machen. Dabei betonen sie immer wieder, dass die Gespräche im Anschluss das Entscheidende sind.
Der Weg ist der eines U. Erst geht es nach unten, bevor die Energie frei wird. Am zweiten Filmtag, in der Talsohle, geht es um die Frage, wie sind wir da gelandet und gibt es noch Hoffnung? Da geht es dann um die old story des more. Wie wir über Werbung das Gefühl des nicht genug auf allen Ebenen erzeugen, um den eigenen Mangel über Konsum dann zu kompensieren. Wie dieses Glück durch more zu Massentierhaltung, Monokulturen, lineare Produktionsketten mit Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und Einsamkeit führt. Plakativ in meinen Worten zusammengefasst. Und dann werden im dritten Teil die vielen Ansatzpunkte ins Handeln zu kommen exemplarisch von Einzelnen, die bereits auf dem Weg sind, vorgeführt. Die beiden sind wirklich auf eine sehr aufrichtige, integre, emotionale Art während der drei Dokumentationen mit den Zuschauenden in Kontakt und halten durch ihre Impulse und Regeln auch den Gesprächsrahmen. Das ist schon sehr berührend. Auch das in den drei Dokumentationen immer wiederholt Menschen zu Wort kommen, die dann quasi auch mit ihren Erfahrungen uns dadurch begleiten, hat mir gutgetan. Es waren sehr unterschiedliche Menschen, von der Schülerin bis zum Großvater, vom Unternehmer über die Angestellte bis zum Arbeiter, unterschiedlicher Hautfarben und Nationalitäten. Es ist nicht eine Frage einer spezifischen Subkultur, sondern es geht alle an und alle können auf dem Weg sein.

Für mich hat es einen großen Unterschied gemacht, das ich unmittelbar Gemeinschaft, Unterschiedlichkeit und Verbundenheit bei der Durchführung von theweek erlebt habe. Ich habe mich ermutigt gefühlt, das zu tun, was mir entspricht, was Energie freisetzt, was mich in Bewegung bringt, was mich womöglich zu einem besseren, da verbundenem und sinnstiftendem Leben führt. Also weg von Flug- und Fleischscham, hin zu Aufbruch und Initiativkraft. Es endet nicht mit verdrossener Konsumbegrenzung, sondern mit Lebendigkeit, guter Laune, auf dem Weg der vielen kleinen Schritte von vielen Menschen in die richtige Richtung. Da müssen wir nicht warten, bis die Politik sich ändert, sondern können bemerken, dass jede kleinste Handlung Auswirkungen hat, positive Ansteckung nach sich ziehen kann, es zu positiven Tipping Points führt, die dazu beigetragen haben, dass die Menschheitsgeschichte schon wieder und wieder neu geschrieben wurde. Die Auflösung der Monarchien, der erfolgreiche Kampf für Wahlrecht der Frauen, selbst die neueren technologischen Entwicklungen, die Probleme in der Vergangenheit gelöst haben, sind Beispiele hierfür.

die Schreibende: Und jetzt? Was machst du aus deiner Erfahrung?

ich: Also mit Papiertüte zum Bäcker gehen wie du, das habe ich tatsächlich nicht geschafft. Ich habe einfach immer erst daran gedacht, als ich in der Bäckerei an der Theke stand. Aber ich freue mich mehr an dem, was ich bereits lebe, weil ich begreife, dass ich einen Unterschied mache, dass es auf mich ankommt. Mein Lebensstil trägt bei, steckt andere womöglich an. Ich würdige anders als bisher, was ich schon tue, schaue nicht mehr nur auf das kollektive Desaster. Gerade spreche ich begeistert, wenn es passt von theweek – nachzuschauen auf www.theweek.ooo und ermutige Menschen, eine week zu organisieren. Außerdem freue mich über alles, was ich noch vertiefter beitragen werde, von dem ich jetzt noch gar nicht weiß.

die Schreibende: na schön, dann weißt du ja jetzt, wie es sich für mich anfühlt, Müll zu vermeiden und mich nur noch mit ausgewählten Dingen zu umgeben.

ich: Ja, ja, ja, ist doch schön, dass wir beide mit aller Unterschiedlichkeit auf dem Weg sind. Ich habe noch aus einer anderen Ecke Inspirationen bekommen, Being the change changes the being, aber da erzähle ich dir dann ein andermal davon. Jetzt schaue ich noch in die Glut meines Feuers.

Die Schreibende und ich 15

Ein Regentag. Die Schreibende kommt nach Hause.

ich: Hey, ich habe ganz vergessen, dir gestern zu sagen, dass ich noch etwas herausgefunden habe über uns.

die Schreibende: Du hast etwas über uns herausgefunden? Hat jemand einen Eintrag über uns geschrieben in Wikipedia?

ich: Haha. Da sind wir eher nicht gefährdet, ich habe etwas herausgefunden über das, was ich dachte, was wir machen: einen Blog schreiben. Als ich neulich davon erzählte, wurde ich eines Besseren belehrt. Ein Blog sei interaktiv, man würde auf eine Schreibimpuls reagieren und Kommentare, die kommentiert werden verfassen und so weiter. Da konnte ich nur mit den Schultern zucken, sagte, ich dachte, ein Blog sei, etwas regelmäßig auf einer Website zu veröffentlichen. Nein, nein, das sei kein Blog, das sei eine Website, auf der ich regelmäßig etwas hochladen würde, das hätte mit einem Blog nichts zu tun, bekam ich zur Antwort. Also dann, dachte ich leicht beschämt, sollte ich mich vielleicht nochmal damit beschäftigen, welche Kriterien zu erfüllen sind, wenn ich einen Blog schreibe.

die Schreibende: Und? Was hast Du herausgefunden?

ich: Das interessanteste fand ich, dass Blog die Abkürzung von Web-Log, einem im Internet öffentlich gemachten Tagebuch ist. Also das persönliche Logbuch, dessen Einträge Posts heißen und das von Microblogging Plattformen wie Twitter oder Instagram abgelöst wurde.

die Schreibende: Mit deiner Ambition monatlich etwas zu posten bist du wahrscheinlich außerhalb der üblichen Fütterungsrituale der Blogger und natürlich mit einem Blog auf einer Website auch altmodisch, deine Kinder würden abwinken.

ich: Ja, zudem muss ich gestehen, dass ich mich überhaupt nicht an dem netzwerkenden Geschehen beteilige. In homöopathischen Dosen lese ich andere Blogs, bin manchmal bewegt, berührt, inspiriert. Meist freue ich mich aber über meine analogen Gruppen von Autoren und schreibenden Menschen, mit denen ich mich austausche und denke, das reicht.

die Schreibende: Also, lassen wir es oder was?

ich: Nein, im Gegenteil. Wir plaudern noch ungehemmter darauf los, oder?

die Schreibenden: Um die zu quälen, die deinen Blog abonniert haben? Hast du mir nicht gerade noch erzählt, dass du einen interessanten Foto Blog wieder abbestellt hast, weil es drei bis vier Mal in der Woche neue Beiträge gab?

ich: Ja, stell dir vor, es gibt Blogger, die haben eine Einstellung, dass unser neuester Beitrag immer gleich mit einem Like, einer Zustimmung versehen wird, was wieder dazu führt, dass du als Leserin für deren Blog beworben wirst. Also es geht um Wege, möglichst viele Follower zu bekommen, so heißt es ja jetzt bei Instagram und co. Dann kannst du auch noch Werbung dazwischenschieben und mit deinem Blog Geld verdienen.

die Schreibende: Ach, bitte keine Kapitalismuskritik jetzt. Ich finde, wir können uns an dem Logbuch orientieren. Ich habe nämlich ein neues Format. Nicht mehr mein Tag in sieben Sätzen, sondern sieben Absätze beginnen mit Ich habe Zeit. Ich sag dir, das ist phänomenal, das Leben auf diese anachronistische Art zu feiern. Pass auf, hier kommen meine Einträge für gestern:

Ich habe Zeit, Ingwer für den Porridge klein zu schneiden und die würzige erfrischende Schärfe schon über meine Fingerkuppen aufzunehmen, die das Ingwerstückchen halten.

Ich habe Zeit, die kleinen Tupperdosen in den verschiedenen Schubladen und Schrankfächern zu suchen, um mal wieder auf dem Markt Streichcremes zu kaufen.

Ich habe Zeit den Schnabel zu erkennen, in der Tulpe, die mir in der Vase ihren Kopf auf dem Küchentisch zuneigt. Es ist ein geschwungener prächtiger Schnabel, ganz in rot. Sie flüstert mir zu, dass es nichts Schöneres gibt, als zu erblühen. „Erblühe, verschenke dich, verströme dich, gib dich hin, freue dich an deiner Schönheit“.

Ich habe Zeit mein Gesicht mit Reinigungsmilch zu waschen, belebend, im Anschluss Gesichtswasser aufsprühen, prickelnd, Happy Aging Gesichtscreme auf Stirn und Wangen mit dem Zeigefinger tupfen und mit der Hand verstreichen, nährend.

Ich habe Zeit, die alte Brotpapiertüte in die Satteltasche zu stecken. Am Marktstand mit den Dinkelbackwaren verkauft der Bäcker selbst. Das letzte Mal hat er mir erklärt, wie sein Amaranth Dinkelbrot so fluffig und feucht bleibt. Mir hat es geschmeckt und ich kaufe es wieder, krame meine zerknitterte Papiertüte heraus: „Hier, die habe ich heute mitgebracht, da brauche ich keine neue“, sage ich entschlossen. Vielleicht fragt er sich auch, was ich für ein Problem habe, als ich ihm die Papiertute hinstrecke. Aber nein, er nimmt sie entgegen und sagt strahlend, als hätte ich ihm ein Geschenk gemacht, „ich schenke dir ein Nussbrötchen, das kann ich zwar nicht jedes Mal machen, aber heute.“ Das nenn ich mal positive Verstärkung. Ich freue mich doppelt.

Ich habe Zeit, den Regen durch den Stoff meiner Hose auf meinen Beinen zu spüren, während ich mit dem Fahrrad durch die Pfützen fahre, zu denken, die Natur freut sich und ich mich auch. Ab in die Sonne ist out.

Ich habe Zeit, obwohl knapp dran, auf dem Weg zur Arbeit mir einen Cappuccino aus dem Automaten im Bioladen zu lassen. Nie ohne meinen Kaffeebecher, meine Devise. Der Milchschaum ist lecker, den ich mir von den Lippen lecke.

ich: Na, da hast du ja ganz schön vorbildlich dich in Szene gesetzt.

die Schreibende: Wieso? Darf ich mich nicht über meine Alltagserfolge freuen? Auch Recycling von Papier kostet Energie, die es nicht braucht, wenn ich die Tüte einfach wieder benutze.

ich: Damit rettest du die Welt sicher nicht.

die Schreibende: Es geht um mein Lebensgefühl, sweet heart, nicht darum, die Welt zu retten. Es fühlt sich auf eigenartige Weise befreiend an, Müll zu vermeiden. Es ist ähnlich wie beim Rucksackreisen, wo du dich zwangsläufig auf das Wesentliche beschränken musst. Es ist einfach ein gutes Gefühl, nicht soviel überflüssigen Verpackungsmüll in der Wohnung herumfliegen zu haben, der wieder entsorgt werden muss. Du kannst mich jetzt auslachen, aber ich kann spüren, dass es mir besser geht, wenn ich Konsumentscheidungen treffe, wenn ich Produkte und Nahrungsmittel kaufe, die unter halbwegs bewussten Bedingungen produziert wurden. Es hängt einfach alles mit allem zusammen. Mich zieht nichts mehr in einen normalen Supermarkt und ich finde Plastikverpackungen zunehmend unangenehm.

ich: Hola, die Waldfee, da bist du ja ziemlich wachstumsfeindlich, wenn du nur noch so bewusst, quantitativ reduziert und qualitativ hochwertig unterwegs bist.

die Schreibende: Genau, die Wirtschaft muss sich dann neue Konzepte ausdenken, als auf Wachstum zu setzen. Aber das ist ja nochmal ein ganz anderes Feld, das du betrittst, wenn du mich als wachstumsfeindlich bezeichnest. Mir tut es auf jeden Fall gut und es geht mir wunderbar.

ich: Aber mal zurück zu deinem Logbucheintrag für heute.
Ich habe Zeit, Dir zuzuhören und dich insgeheim dafür zu schätzen. Danke.

Die Schreibende und ich 14

Es ist Frühling. Die ersten grünen Spitzen schieben sich aus den nackten Ästen hervor, die jeden Winter so aussehen, als wären sie für immer dazu verdammt, karg und entbehrungsreich in der Straße zu stehen. Der radikal zurückgeschnittene Rosenstock stößt seine Triebe durch die dornenbesetzten Stümpfe.

Die Schreibende schiebt mir ein Blatt zu.

die Schreibende: Schau mal, hier sind meine Fragen.

ich: Fein, zeig her.

Wovon träumst du? Woran glaubst du? Wodurch versaust du? Was ist genug? Wen verehrst du? Mit wem verkehrst du? Was opferst du? Wer besiegt dich? Wer betrügt dich? Wann verdirbst du? Was verbirgst du? Was trinkst du? Was betäubst du? Wann verweilst du? Wer betört dich? Wer hört dich? Was siehst du? Was baust du? Was malst du? Was isst du? Wer bist du? Was liest du? Wann frierst du? Wozu stehst du? Wer kämmt dich? Was lähmt dich? Wer bedrängt dich? Wann kommst du? Was trägst du? Was fragst du? Wann spielst du? Was guckst du? Wem schreibst du? Was treibt dich an? Was reibt dich auf? Was erzählst du? Was zählt? Wer zahlt? Wann bist du soweit? Wozu bist du bereit? Wann hat es geschneit? Wer schmückt dich? Wer bedrückt dich? Was heilt dich? Was trifft dich? Wer begreift dich? Wie reifst du? Wie liebst du? Wie schläfst du? Wie stirbst du? Was rettet dich? Was beichtest du? Wie sündigst du? Was begehrst du? Wie betest du? Wen zeigst du an? Was geht dir auf? Was? Wann? Wozu? Wer? Wen? Wie? Was? Was? Wohin? Was?

die Schreibende

ich: Krasser Text.

die Schreibende: Das ist kein Text, das sind die Fragen, die mich wirklich beschäftigen.

ich: Für mich ist es halt ein Text.
Was zählt? Wer zahlt? Das finde ich schlicht genial. Wer zahlt, wenn das zählt, wo der Preis verschwiegen wird, den es langfristig kostet? Da steckt so viel drinnen in deinen Fragen. Mich berühren diese Fragen, weil sie zum Teil so in ganz tiefe Schichten hineinfallen, also mich existentiell betreffen. Was treibt mich an, was reibt mich auf? Wie sterbe ich? Das ist ja eine Frage, die sich nicht mehr von mir beantworten lässt, wenn ich sie auf meinen physischen Tod anwende und nicht im übertragenden Sinn beantworte. Je länger ich darüber nachdenke, desto größer finde ich deinen Text.

die Schreibende: Hey, das ist meine Fragensammlung, von der ich mir wünsche, dass du die Fragen mit dir herumträgst, sie in dir bewegst, mit Antworten experimentierst und sie wieder verwirfst.

ich: Also, wenn wir uns diese Fragen vornehmen, dann haben wir ausgesorgt, also ich meine, dann haben wir immer was zu schreiben.

die Schreibende: Was ist denn mit deinen Fragen?

ich: Die habe ich noch gar nicht aufgeschrieben.

die Schreibende: Du prokrastinierst.

ich: Neues Lieblingswort oder was?

die Schreibende: Es ist auf jeden Fall im Trend, das Aufschiebe Verhalten. Alles wird aufgeschoben.

ich: Auch das bessere Leben wird aufgeschoben. Findest du nicht?

die Schreibende: Ist das eine von deinen Fragen?

ich: Sieht so aus. Aber Spaß beiseite. Meine Fragen gehen tatsächlich eher so in die Richtung:

Was heißt es, anders weiter zu leben als bisher, jenseits von carbon footprint and handprint? Also im Grunde frage ich mich, wie ich leben will, um mich mehr im Einklang zu fühlen mit den Erfordernissen dieser Zeit?
Die mir vielleicht sogar ermöglichen, zu einer tieferen Ebene von Lebenszufriedenheit zu gelangen. Im Yoga gibt es so eine Pose, bei der die Lehrerin immer sagt, verschließe dich den Möglichkeiten, um dich ganz zu fokussieren und zu einer Klarheit zu gelangen. In mir gibt es eine Sehnsucht, nach wie vor, noch klarer auf das Wesentliche ausgerichtet zu leben.
Also eine weitere Frage ist, was ist das Wesentliche?
Vielleicht haben wir uns ja mit unserer Freiheit, uns nicht mehr alltäglich mit dem faktischen Überleben beschäftigen zu müssen, zu viele Möglichkeiten geschaffen, die Bedürfnisse wecken, die uns vom sinnerfüllten Leben entfernen.
Mich interessiert auch, wie wir es schaffen, uns in einer dermaßen ungerechten Welt zu beheimaten, ohne an unserem schlechten Gewissen zugrunde zu gehen, wenn wir wissen, dass andere den Preis für unseren Wohlstandskonsum zahlen? Die anderen sind auch die zukünftigen Generationen. Oder ich muss die Frage anders stellen.
Mich interessiert, was passieren muss, dass wir uns nicht mehr darin einrichten wollen, dass es uns hier und jetzt gut geht, sondern, dass wir Schritte gehen wollen, die dazu beitragen, dass es langfristig allen besser geht?

die Schreibende: Allen besser geht?

ich: Gut, ich gebe zu, ist ein bisschen hoch gegriffen.

Unter welchen Voraussetzungen gedeiht langfristiges und ganzheitliches Fühlen und Denken?
Die Frage klingt doch brauchbar, oder? Das ist meine Lieblingsfrage.

An deinem Gesicht lese ich schon wieder ab, dass du alles andere als begeistert bist. Gib‘ mit halt noch etwas Zeit, dann kann ich die Fragen präziser stellen. Ich denke halt hier gerade laut vor mich hin und nähere mich an.
Es interessieren mich auch Fragen im Hinblick auf das sozialpsychologische Experiment, die Feldstudie, Menschheit während einer Pandemie im 20. Jahrhundert. Wie funktioniert der Mensch im Angesicht einer diffusen Bedrohung des eigenen Lebens, im Angesicht von Angst? Ich muss gestehen, dass meine vorläufige Erkenntnis ist, dass Angst Überlebensmuster reaktiviert, die dem ganzheitlichen und langfristigen Fühlen entgegenstehen. Ich finde diese Erkenntnis sehr ernüchternd, erschütternd, wo ich doch so gern an das Gute im Menschen glauben will.

die Schreibende: Willst du Fragen stellen oder Antworten geben?

ich: Schon gut, schon gut. Vielleicht halten wir uns doch besser an deine Fragen, bis ich meine ausgearbeitet habe. Wozu bist du bereit?

die Schreibende: Halt! Das war meine Frage.

ich: Magst du deine Fragen nicht beantworten?

die Schreibende: Ich bin bereit mich zu riskieren.

ich: Was meinst du denn damit?

die Schreibende: Mit der Frage kannst du bleiben.
Und ich auch.  

die Schreibende und ich 13

ich: Hör mal, ich habe während ich mit meiner Infektion ausgesetzt habe, verschiedene Texte geschrieben, die ich vielleicht für den Blog brauchbar finde, die um meine Unerträglichkeit kreisen, in einer Welt zu leben, die ich nicht mehr verstehe.

die Schreibende: Klingt etwas pathetisch.

ich: Manchmal ist es doch gut, vollumfänglich ins Drama zu gehen. WIE LEBEN WIR IN EINER UNVERSTÄNDLICH GEWORDENEN WELT? Das könnte doch ein ZEIT Titel sein.

die Schreibende: Bisschen lang für einen Titel. Und außerdem hast du die Welt denn je verstanden?

ich: Das ist ja auch im übertragenden Sinn gemeint. Ich habe in der Vergangenheit weder die Lebensgrundlage für die Menschheit so umfassend bedroht erlebt, also ich hatte nicht den Eindruck, dass ich dabei zusehe, wie die Menschen sich ihr eigenes Grab schaufeln. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass die überfordernden Möglichkeiten der sozialen Medien dazu führen, dass ehrliche Diskurse unterdrückt statt geführt werden, das finde ich auch bedrohlich. Und ich hatte nicht den Eindruck bisher, dass die Welt in ihrer Gesamtheit den Menschen gerade entgleitet. Auch gerade durch deren Errungenschaften, wie künstliche Intelligenz, zunehmende Digitalisierung mit allen Nebeneffekten, auch dem, von Energie abhängig zu sein in einem nicht gekannten Ausmaß, von den Möglichkeiten der totalen Kontrolle mal ganz abgesehen.  

die Schreibende: Tja, es ist nie förderlich für die eigene Stimmung, die großen Fragen der Zeit vor sich aufzutürmen.

ich: Also doch der Rückzug ins Private? Das geht doch nicht. Ich kann doch nicht so weiter machen wie bisher?

die Schreibende: Oh je, ich glaube, das krank sein hat dir wirklich nicht gutgetan. Zeig mal, was Du geschrieben hast.  

Ich bin krank und liege im Bett. Ich höre, wie die Dielen knarren, wenn meine Kinder sich durch die Wohnung bewegen. Der Boden schwingt, die Dielen flüstern mit, über einhundert Jahre alte Dielen.

Ich liege im Bett und bin krank. Ich liege. Ich liege im Bett und bin Kind, weil ich krank bin, höre die Schritte der Mutter, wie sie mit dem Bruder spricht. Ich atme Geborgenheit, in einer Welt zu Hause zu sein, in der für mich gesorgt wird, wenn ich krank bin. Ich liege.

Wie geht es eigentlich, wenn ich die Frage, wie es mir geht, gar nicht mehr beantworten kann in einer Welt, der es schlechter geht, denn je und in der ich die Menschen nicht mehr verstehe, in der ich im Bett liege und darüber nachdenke, was es heißt, darin zu leben?
Wie können Nachrichten über den Krieg so einfach auf den Kampf der Guten gegen den Bösen reduziert werden können? Wir kämpfen an der Seite der Guten, wir sind die Guten und kämpfen für Freiheit und Demokratie. Wer sind denn wir und wer kämpft und wer kämpft für was? Und wer hat die Geschichte verschluckt? Herausgekürzt aus der Gleichung? Es wäre so schön, wenn die Welt einfach wäre. Die Guten kämpfen gegen die Bösen und das Gute siegt.

Wie können 50 000 Milliarden Euro in den Rüstungsetat fließen, der noch aufgestockt wird und auf einem historischen Höchststand ist, wie 36,6 Millionen bereits abgelaufene Impfdosen vernichtet werden und bestenfalls noch 134 Millionen Menschen mit Dosen geimpft werden, die ansonsten entsorgt werden nach Ablauf diesen Jahres und wie können noch Millionen weitere Impfdosen durch vertraglich  Bindung entgegen genommen werden? Wie umgehen mit Fakten, die mich sprachlos machen? Wie umgehen mit Fakten, die nicht zur Sprache kommen? Was tun, wenn ich mich wie das Kind in dem Märchen des Kaisers neue Kleider fühle? Alle bejubeln die wunderbare Robe, aber das Kind traut sich zu sagen, „Aber der ist ja nackt“. Nur halte ich den Mund, weil ich keine Expertin bin, weil ich mich nicht jahrelang mit den entsprechenden Themen beschäftigt habe. Nur mein naives Wesen stellt sich die eine und die andere Frage.

die Schreibende: Klingt etwas empört, depri, selbstgerecht und als würdest du dich ereifern. Du übernimmst die Rolle des Kindes, das alles durchschaut, dann bemitleidest du dich noch, weil du schweigst.  

ich: Ach, es macht mich einfach so vieles so unendlich traurig. Stell Dir vor, gestern vor einem Jahr hat der Krieg begonnen in der Ukraine. Ich denke immer, wir können uns als Menschheit einfach keine Kriege leisten, bei den anderen Anforderungen, die auf uns zukommen. Ich finde Krieg das Schlimmste überhaupt. Vielleicht ist ereifern besser, als nur traurig und fassungslos werden und dieses dauernde Unbehagen zu spüren.

Die Schreibende liest weiter.

die Schreibende: Hier das Ende, das gefällt mir wieder besser. Da finde ich dich wieder.

Der Mensch ist einerseits zu soviel Kultur, Hingabe und Schönheit fähig und andererseits fällt er zurück in einen Zustand, wo er sich nicht anders zu helfen weiß, als zuzuschlagen, als sich selbst zu retten, als sich zu flüchten in vermeintlich heile Welten, als zu erstarren.  

Auch ich möchte mich dahin zurückziehen, wo meine Welt in Ordnung ist, ins Bett, in dem ich liege, weil ich krank bin. Das Bett steht jedoch in dieser Welt, die mich ruft, die ausgeblutete Erde, die mich ruft. Kann ich so tun, als wäre die Welt noch die, die sie war, als ich im Bett lag als Kind?

Was tun in einer Welt, die so bedürftig ist und so schön und so magisch? Wie also leben in der Gleichzeitigkeit von Schönheit und Abgrund, von Glanz und Elend?

Ich will es herausfinden. Ich will fragen, zuhören, lauschen. Ich will die Fragen stellen, auf die es keine Antworten gibt, die mich in Bewegung halten, die mich kleine Schritte machen lassen, die mir das Gefühl geben, beizutragen, die das Untröstliche mit dem Tröstlichen verbinden, die um alles Vorläufige wissen, die mich zu einer immerwährenden Forscherin machen.

Ich: Was hältst du davon, die Fragen zu finden, die uns wirklich beschäftigen im Jahr 2023?

die Schreibende: Ich mag es ja lieber konkret und persönlich, die Welt und die Menschheit sind mir mitunter etwas zu große Angelegenheiten. Wenn das auch darin Platz hat, finde ich Fragen gut. Also dann gern auf zu den FRAGEN.

die Schreibende und ich 12

Es ist der Samstag vor dem vierten Advent, ich liebe es die Kerzen anzuzünden und stundenlang in der Küche am Tisch zu sitzen, während die Amaryllis sich weiter öffnet, das weich geworden Wachs am Rand der Kerzen ebenso zu sich hingebenden Kelchen mutiert, bis es wieder dunkel wird. Ich freue mich, dass ich tatsächlich in diesem Jahr auf 12 Blogeinträge komme, wenn es auch mit dem monatlich nicht so ganz hinkommt. Ich finde, darauf, kann ich mit der Schreibenden anstoßen.

Die Schreibende ist gar nicht zu Hause.

Nächster Tag. Der vierte Advent. Im Radio habe ich auf Deutschlandfunk eine Rede von Salman Rushdie gehört. Das habe ich aber erst herausgefunden während des Features, weil ich angeschaltet hatte, als es schon lief. Ich fand interessant, wie die Stimme des Sprechers ausführte, warum die Menschen die Götter erschufen. Nämlich um Leerstellen mit Geschichten zu füllen, um Fragen zu beantworten: Wo komme ich her? Wie sollen wir leben? Und dann lässt der Sprecher den ganzen Götterhimmel in den unterschiedlichen Mythologien die Bühne betreten. Odin, der beim Kampf mit dem Fenriswolf umkommt, Freya, die von einem Feuerschwert getötet wird (oder es war irgendwie anders), sind mir noch in Erinnerung. Also sie gehen mit Glanz und Glorie unter im pantheistischen Universum, sie sind machtbesessen, lüstern, heimtückisch, kränkbar, rückhaltlos und sie wollen von den Menschen bewundert werden, jenseits von Vorbild und Moral. Besonders gefällt mir die Stelle, in der er formuliert, dass die pantheistischen Universen ihre Sollbruchstellen, an denen sie sich überlebt haben, schon mit in ihre Geschichten hineingeschrieben haben. Da gibt es keine Tabus. Und am Ende kommt der Untergang.

Aber wer braucht heute noch Religion und Mythologie, wenn die Frage wo wir herkommen von der Wissenschaft beantwortet wird. Und erst die monotheistischen Religionen, die mit ihrer Zuckerbrot und Peitsche Haltung nichts als Krieg auf dem Gewissen haben und dabei noch die Moralkeule schwingen. Rushdie untersucht, wieso seine Freiheit zu denken und zu hinterfragen so angefeindet wird. Ihm geht es viel um Freiheit.

Nach der Sendung höre ich, dass die wiederholt wurde, weil am 15. August eine Messerattacke bei einem öffentlichen Auftritt auf Salman Rushdie ausgeübt wurde. Krass.

Ich teile mit der Schreibenden meine Gedanken, als sie nach Hause kommt.

die Schreibende: Was, das hast Du mitgeschnitten, während Du inhaliert hast, weil Du kaum schlucken konntest? Und das findest Du so interessant, dass Du es mir erzählst?

Ich: Ach, manchmal erreichen mich Gedanken, faszinieren mich und machen mich nachdenklich. Du kennst mich doch. Also die Mutigen, die für Freiheit ins Feld ziehen, leben ganz schön gefährlich.

Aber eigentlich wollte ich mir dir feiern, dass es tatsächlich 12 Blogeinträge werden.

die Schreibende: Dann lass uns doch lieber auf die Mutigen anstoßen, auf die, die sich in die Arena der Öffentlichkeit stellen, die Streitbaren, die Sichtbaren, die Hörbaren und die Lesbaren.

Ich: Genau. Auf die Mutigen dieser Welt.  

Und wir sind lesbar geworden. Vielleicht sind wir ja doch ein gutes Team.

Die Schreibende schaut mich von der Seite an. Ich könnte ihren Blick als ein Schmunzeln deuten.

Allen, die zu den Lesenden gehören. Viel Wärme, Kerzenschein und dankbare Verbundenheit, weil jetzt zu der Schreibenden und mir auch die Lesenden gehören.

Und die vielen Facetten des Mutes, die es zu entdecken gilt, die nehme ich mit ins neue Jahr.

 Die Reisende 6

„Wherever you go, and whatever we do, we have an impact. The trick is to make sure, it’s a positive one.“

Das steht in der Visitor Charter der Tin Coast, dem Küstenabschnitt bei St Just, welcher aufgrund der verlassenen Kupfer- und Zinnminen zum Weltkulturerbe ernannt wurde. Der Satz gefällt mir, auch wenn ich mir nicht schlüssig bin, ob diese verlassene Landschaft, wo der Mensch einem Maulwurf gleich unzählige Gänge ins Gestein gebohrt hat, um die Mineralien aus den Adern der Erde herauszuholen, ob diese zurückgelassenen Verwundungen nun Mahnmal sein sollen oder Zeugnis menschlicher Größe. Es fasziniert mich, mit welchem unglaublichen Kraftaufwand der Mensch in der Lage ist, die Naturgesetze außer Kraft zu setzen. Die emporragenden gemauerten Schornsteine, ich kann nicht anders, als sie auch als phallische Denkmäler männlicher Potenz zu betrachten, die in den Himmel ragen. So spüre ich beides. Faszination und Grauen.
In den Tiefen des Gesteins gibt es über 1000 Minenschächte und hunderte von Meilen unterirdische Tunnel. Überall stehen Schilder, dass es gefährlich ist die Wege zu verlassen, weil Schächte wie unsichtbare Fallgruben vom Ginster überwuchert, den Wanderer verschlucken können.  Ich stelle mir vor, wie Männer in den Gruben schufteten, während arsenhaltige Dämpfe bei den Schmelzvorgängen aufstiegen und es immer noch weitere Schritte dauerte, bis die wertvollen Mineralien herausgelöst waren. Auch wenn die Erde hier wie von einem Narbengewebe durchzogen beschrieben wird von Raynor Winn, der Autorin des Salzpfades, so räumt sie auch ein, dass wir ohne dieses Erbe ärmer wären.

Als wir zum zweiten Mal durch die Landschaft wandern, finde ich sie nicht weniger faszinierend. Zwei Menschen hocken auf einem der unzähligen Steinhaufen mit Hämmern, klopfen Steine auf, betrachten sie, werfen sie wieder zurück auf den Boden. Es sind ein Mann und eine Frau.

„Komm, lass und die beiden fragen, nach was sie suchen, bestimmt können sie uns erzählen, was es zu finden gibt“, sage ich zu den Kindern.

„Hallo, nach was halten Sie Ausschau? Wir sind gänzlich unbedarft. Sieht so aus, als wären Sie Experten.“

Wie ahnungslos ich bin, wird mir erst im Laufe des sich anschließenden Gesprächs bewusst.

Ich habe die Geröllhalden aus Abraum gar nicht sofort als solche wahrgenommen, sondern als Teil der Landschaft, die sie in den Jahrzehnten geworden sind. Jetzt fällt es mir erst wie Schuppen von den Augen, diese unzähligen Berge von Gesteinsbrocken.

„Ja, kommt, wir zeigen Euch, nach was ihr Ausschau halten müsst, meine Tochter ist ganz großartig darin, noch kupferhaltige Steine zu finden“, sagt ein braun gebrannter älterer Mann mit sonnengegerbter Haut und einem Zahnlückenlächeln.

„Bis die Minen geschlossen wurden, habe ich mitgearbeitet. Ich kam als junger Mann hierher und habe mein Leben als Bergarbeiter verbracht. Habt ihr auch Werkzeuge dabei?“.

Als wir verneinen, komme ich mir vor, als wäre ich ohne Korb und Messer in einem Wald, wo sich nur Pilzsucher treffen. Aber ich lerne ja gerade erst, dass es etwas zu finden gibt.

Nach was halten wir Ausschau?

Der Mann erzählt, dass seine Tochter in jeder freien Minute hier draußen sei, weil es einfach gut tue, ein Ausgleich zur Arbeit hier an der frischen Luft, sie habe ein Händchen für die Steine.

„Was habt ihr denn schon gefunden?“

Ich zeige ihm zwei Steine, die mir in der Nähe der beiden mit Blick auf den Boden schön vorkamen.

Ein kurzer Blick, ein Schlag mit dem Hammer, ein fallen lassen, die taugen nichts. Nicht essbar, für den Fall, dass es Pilze wären.

„Kommt mit, ich zeige Euch, wo es noch bessere Steine zu finden gibt“, sagt der Mann und er bewegt sich behände über die Geröllfelder, auch wenn ich auf einmal ahne, dass er gut schon an die 80 Jahre alt sein könnte.

Er zeigt uns die Einbuchtungen, die auch Einstiege zu den Adern seien, die längs unter der Erdoberfläche entlanglaufen. Mineralische Adern, die sich durch die Tiefe ziehen und die Menschen schürften und schlürften, stülpten das Innere unter dem Meeresgrund heraus, klopften, brachen, zerstampften, kalzinierten, schmolzen, brannten, wandelten, oxidierten.

„Die Voraussetzung aller Schächte sind Gesteinsschichten, die dicht genug sind, um kein Wasser durchzulassen.“ Ich verstehe etwas von Killerstone. Er klopft und zeigt uns blau schimmernde oxidierte kupferhaltige Oberflächen. Er hebt Steine auf, die weißlich, gelblich glänzen.

„Foolsgold“, sagt er lächelnd.
Zinn ist dunkel und dicht, Kupfer schimmert goldener als das Foolsgold. Es ist eine Lektion in Mineralogie und Chemie.

„Hier bei mir lernt ihr mehr, als in wochenlangen Studien“.
Ich schaue und staune, auch wenn mir komplett die Grundlagen fehlen, um das Gehörte zuordnen zu können.

„Die Deutschen haben ganz hervorragende Mineralogen und waren führend auf dem Gebiet der Steinkunde“, und er erzählt von berühmten deutschen Steinbrüchen.
Bei mir klafft einzig eine große Lücke des Nicht Wissens. Ich nehme mir vor, angesteckt von seiner Begeisterung, über Mineralogie und Bergbau in Deutschland und Cornwall nachzulesen. Dabei entdecke ich, dass der Bergbau eine ganze eigene Sprache entwickelt hat, die ich selbst auf Deutsch gänzlich neu lernen müsste und ich bin etwas getröstet, dass ich von seinen Ausführungen nur die Hälfte verstanden habe.

„Die Mädchen waren gerade mal 12 Jahre, die hier arbeiteten“, sagt er und langsam setzt sich erst das Bild zusammen, dass die Steine aus dem Erdinneren auf die Oberfläche geschüttet wurden, aufgeklopft von Mädchen, die Steine mit Mineralien dann zu den nächsten Stätten der weiteren Verarbeitung gebracht haben.

„Wieso sehen sie sofort, ob ein Stein interessant ist oder nicht?“

Er lächelt mich wissend an.

„Jahrzehntelange Erfahrung. Mein Leben und meine Leidenschaft“.

Bevor die Mine endgültig geschlossen wurde, versuchten sie nochmal diese wieder trocken zu legen, da Meerwasser eingedrungen war. Er war dabei. Es war sehr aufwändig, rentabel sei es dann doch nicht gewesen. Jetzt also Geschichte.

Weil sie nicht aufhören können zu suchen, obwohl die Adern ausgekratzt seien, suchen sie weiter, weil es Spaß macht in den Resten noch etwas zu finden. Geld lässt sich damit nicht mehr verdienen. Ich kann mir vorstellen, dass es eine Passion werden kann wie das Puzzeln, die Hingabe an das Suchen, die Freude des Findens, das Klopfen, fallen lassen, nur wenige Gewinne, keine Hauptgewinne mehr, aber ein leidenschaftlicher Zeitvertreib. Wir kämen noch an Abraumbergen vorbei, da vorne, da sollten wir unbedingt weitersuchen, da würden wir sicher noch fündig werden. Als wäre es nicht denkbar, dass wir nicht zu den Suchenden und Findenden gehören wollten. Wir gehen zurück zu der Stelle, an der seine Tochter noch klopft und an der unsere Rücksäcke liegen. Ich bin froh, dass er dabei ist, weil ich in dieser Landschaft aus Steinen und Geröll keine Orientierung habe.

„Ihre Tochter hat die Leidenschaft wohl von Ihnen geerbt“, sage ich.

Er nickt lächelnd und mit liebevollem Stolz.

Nach was halten wir Ausschau?

Nach passenden Puzzleteilen, nach Steinen, mit Spuren von Kupfer, nach Momenten des Glücks?

Nach was halten wir Ausschau?