die Schreibende und ich 13

ich: Hör mal, ich habe während ich mit meiner Infektion ausgesetzt habe, verschiedene Texte geschrieben, die ich vielleicht für den Blog brauchbar finde, die um meine Unerträglichkeit kreisen, in einer Welt zu leben, die ich nicht mehr verstehe.

die Schreibende: Klingt etwas pathetisch.

ich: Manchmal ist es doch gut, vollumfänglich ins Drama zu gehen. WIE LEBEN WIR IN EINER UNVERSTÄNDLICH GEWORDENEN WELT? Das könnte doch ein ZEIT Titel sein.

die Schreibende: Bisschen lang für einen Titel. Und außerdem hast du die Welt denn je verstanden?

ich: Das ist ja auch im übertragenden Sinn gemeint. Ich habe in der Vergangenheit weder die Lebensgrundlage für die Menschheit so umfassend bedroht erlebt, also ich hatte nicht den Eindruck, dass ich dabei zusehe, wie die Menschen sich ihr eigenes Grab schaufeln. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass die überfordernden Möglichkeiten der sozialen Medien dazu führen, dass ehrliche Diskurse unterdrückt statt geführt werden, das finde ich auch bedrohlich. Und ich hatte nicht den Eindruck bisher, dass die Welt in ihrer Gesamtheit den Menschen gerade entgleitet. Auch gerade durch deren Errungenschaften, wie künstliche Intelligenz, zunehmende Digitalisierung mit allen Nebeneffekten, auch dem, von Energie abhängig zu sein in einem nicht gekannten Ausmaß, von den Möglichkeiten der totalen Kontrolle mal ganz abgesehen.  

die Schreibende: Tja, es ist nie förderlich für die eigene Stimmung, die großen Fragen der Zeit vor sich aufzutürmen.

ich: Also doch der Rückzug ins Private? Das geht doch nicht. Ich kann doch nicht so weiter machen wie bisher?

die Schreibende: Oh je, ich glaube, das krank sein hat dir wirklich nicht gutgetan. Zeig mal, was Du geschrieben hast.  

Ich bin krank und liege im Bett. Ich höre, wie die Dielen knarren, wenn meine Kinder sich durch die Wohnung bewegen. Der Boden schwingt, die Dielen flüstern mit, über einhundert Jahre alte Dielen.

Ich liege im Bett und bin krank. Ich liege. Ich liege im Bett und bin Kind, weil ich krank bin, höre die Schritte der Mutter, wie sie mit dem Bruder spricht. Ich atme Geborgenheit, in einer Welt zu Hause zu sein, in der für mich gesorgt wird, wenn ich krank bin. Ich liege.

Wie geht es eigentlich, wenn ich die Frage, wie es mir geht, gar nicht mehr beantworten kann in einer Welt, der es schlechter geht, denn je und in der ich die Menschen nicht mehr verstehe, in der ich im Bett liege und darüber nachdenke, was es heißt, darin zu leben?
Wie können Nachrichten über den Krieg so einfach auf den Kampf der Guten gegen den Bösen reduziert werden können? Wir kämpfen an der Seite der Guten, wir sind die Guten und kämpfen für Freiheit und Demokratie. Wer sind denn wir und wer kämpft und wer kämpft für was? Und wer hat die Geschichte verschluckt? Herausgekürzt aus der Gleichung? Es wäre so schön, wenn die Welt einfach wäre. Die Guten kämpfen gegen die Bösen und das Gute siegt.

Wie können 50 000 Milliarden Euro in den Rüstungsetat fließen, der noch aufgestockt wird und auf einem historischen Höchststand ist, wie 36,6 Millionen bereits abgelaufene Impfdosen vernichtet werden und bestenfalls noch 134 Millionen Menschen mit Dosen geimpft werden, die ansonsten entsorgt werden nach Ablauf diesen Jahres und wie können noch Millionen weitere Impfdosen durch vertraglich  Bindung entgegen genommen werden? Wie umgehen mit Fakten, die mich sprachlos machen? Wie umgehen mit Fakten, die nicht zur Sprache kommen? Was tun, wenn ich mich wie das Kind in dem Märchen des Kaisers neue Kleider fühle? Alle bejubeln die wunderbare Robe, aber das Kind traut sich zu sagen, „Aber der ist ja nackt“. Nur halte ich den Mund, weil ich keine Expertin bin, weil ich mich nicht jahrelang mit den entsprechenden Themen beschäftigt habe. Nur mein naives Wesen stellt sich die eine und die andere Frage.

die Schreibende: Klingt etwas empört, depri, selbstgerecht und als würdest du dich ereifern. Du übernimmst die Rolle des Kindes, das alles durchschaut, dann bemitleidest du dich noch, weil du schweigst.  

ich: Ach, es macht mich einfach so vieles so unendlich traurig. Stell Dir vor, gestern vor einem Jahr hat der Krieg begonnen in der Ukraine. Ich denke immer, wir können uns als Menschheit einfach keine Kriege leisten, bei den anderen Anforderungen, die auf uns zukommen. Ich finde Krieg das Schlimmste überhaupt. Vielleicht ist ereifern besser, als nur traurig und fassungslos werden und dieses dauernde Unbehagen zu spüren.

Die Schreibende liest weiter.

die Schreibende: Hier das Ende, das gefällt mir wieder besser. Da finde ich dich wieder.

Der Mensch ist einerseits zu soviel Kultur, Hingabe und Schönheit fähig und andererseits fällt er zurück in einen Zustand, wo er sich nicht anders zu helfen weiß, als zuzuschlagen, als sich selbst zu retten, als sich zu flüchten in vermeintlich heile Welten, als zu erstarren.  

Auch ich möchte mich dahin zurückziehen, wo meine Welt in Ordnung ist, ins Bett, in dem ich liege, weil ich krank bin. Das Bett steht jedoch in dieser Welt, die mich ruft, die ausgeblutete Erde, die mich ruft. Kann ich so tun, als wäre die Welt noch die, die sie war, als ich im Bett lag als Kind?

Was tun in einer Welt, die so bedürftig ist und so schön und so magisch? Wie also leben in der Gleichzeitigkeit von Schönheit und Abgrund, von Glanz und Elend?

Ich will es herausfinden. Ich will fragen, zuhören, lauschen. Ich will die Fragen stellen, auf die es keine Antworten gibt, die mich in Bewegung halten, die mich kleine Schritte machen lassen, die mir das Gefühl geben, beizutragen, die das Untröstliche mit dem Tröstlichen verbinden, die um alles Vorläufige wissen, die mich zu einer immerwährenden Forscherin machen.

Ich: Was hältst du davon, die Fragen zu finden, die uns wirklich beschäftigen im Jahr 2023?

die Schreibende: Ich mag es ja lieber konkret und persönlich, die Welt und die Menschheit sind mir mitunter etwas zu große Angelegenheiten. Wenn das auch darin Platz hat, finde ich Fragen gut. Also dann gern auf zu den FRAGEN.