Zwischen Tassen und Gläsern. Nach dem Fest ist vor dem Fest. Das Wasserglas ist dreiviertel voll. Es spiegelt sich in dem metallenen Wasserkrug. Ich schreibe mich an den Beobachtungen entlang. Was sehe ich? Gibt es etwas Bedeutsames darüber hinaus?
Mir kommt ein Satz in den Sinn, er taucht auf aus den Windungen meines Gedächtnisses:
IF YOU DON`T KNOW WHAT TO DO JUST DRINK YOUR TEA
Der Satz ist von Hugh Milne, leicht abgewandelt, aus dem Buch „The heart of listening“. Das habe ich gerade nachgeschaut. Der Satz ist einfach aufgetaucht und mit ihm die Erinnerung an Amsterdam, an meine Ausbildung als Somatic Movement Coach, dort im Tanzstudio, wo ich den Satz zum ersten Mal gehört habe. Ich weiß nicht mehr ob ihn Piera oder Remo mit in die Ausbildung hineingebracht haben.
Ich habe meine Hände auf Remos Rücken. Lange. Einfach nur die Hände auf seinem Rücken. Eine Übung zum cellular breathing. Atmende Zellen, die über Berührung miteinander in Kommunikation treten. Sie kommunizieren lassen, ohne sie dabei zu stören, da sein, ohne etwas zu wollen. 10 Minuten, 20 Minuten. Manchmal wechsele ich die Position der Hände. Remo erzählt im Anschluss über die Bilder aus seiner Kindheit, die aufgetaucht sind. Er als kleiner Junge. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was er erzählt hat. Ich fülle diese Lücke, wie es mir gefällt, er als kleiner Junge, der seinen Opa besucht im Tessin. Mit seinem Opa auf einer Bank sitzt. Großvater und Enkel, zwischen den grasüberwachsenen Steinen. Meine Hände die Erinnerungsbilder wecken.
If you don`t know what to write just wait. Just wait for a memory crossing the bridge.
Unser Gespräch am Küchentisch nach der Siesta. Mein Gespräch mit Ivo in der Vorbereitung auf unser Tanzen und Schreiben in Vellexon. Das vierte Jahr geht in die Runde. Wir wollen das autobiographische Schreiben mehr einladen, mehr ermutigen in die Schatzkammer der eigenen Erinnerungen zu steigen.
„ich habe Dich so lieb, wie die Löcher in meinem Sieb“. Die Löcher im Sieb also, da rinnt sie hindurch, die Fülle der Eindrücke – und was bleibt im Sieb des Gedächtnisses hängen? „ich würde Dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken“. Diese Zeilen aus dem Ringelnatz Gedicht schrieb mein Mitschüler L in der ersten Grundschulklasse in mein Poesiealbum. Die Liebe zu den Löchern im Sieb. Dieser Satz ist nicht hindurch gefallen durch die Löcher im Sieb. Dafür L, der mich unter der Bank im Esszimmer küssen wollte.
Die zufälligen Fundstücke sind es, die autobiographischen Fundstücke aus der Kiste in der sich alles liegen Gebliebene sammelt, Pullover, Tanzhosen, Schlüssel, die es zu beschreiben lohnt. Sie liegen unbesehen im Lost and Found Fundus bis wir sie ans Licht zerren, den Stoff durch die Finger gleiten lassen. Also den Pullover würde ich nehmen, wenn sich die Besitzerin nicht findet und hier ist ja auch meine heißgeliebte und vermisste Fließjacke. Sie haben gesagt, sie heben nichts auf. Geht es so im Gedächtnis zu? Die Wächter des Sammelns, des Rauswerfens, wer sind sie? Am Küchentisch sitzend befinden wir, Ivo und ich, dass es lohnt, sich den Fundstücken schreibend zuzuwenden.
Manchmal ist es unbehaglich, was sich an die Funde dran hängt.
Schreibdorf, der 29. Januar 2016