die Schreibende und ich 7

der Hang zum Tröstlichen

Ich suche das Gespräch mit der Schreibenden, die in ihren Computer etwas tippt. Ich seufze.

Ich: Hör mal, ist es nicht zum Verzweifeln, dass wir in einer Welt leben, in der jeder sein eigenes Narrativ erzählt? In einem feature darüber im Deutschlandfunk hat ein Autor das Mikro-Narrativ genannt.

die Schreibende: Narrative, Paradigmen, Ideologien, Selbstmythen, hör mir auf damit, siehst du nicht, dass ich schreibe.

Ich: Dann mach jetzt eine Schreibpause und höre mir zu, ich bin mir sicher, du profitierst von meinen Gedanken.

die Schreibende: Ha, von Dir profitieren, die Du mich mehr denn je im Stich lässt mit Deinen Befindlichkeiten, Erschöpfung, Rücken-, Kopf-, Beinschmerzen, chronische Müdigkeit, weißt Du eigentlich, wie Du mich gerade in die Randbezirke Deiner Existenz verbannst, weil Dir Ausrichtung, Disziplin und Klarheit fehlt, wie Du mich nervst? Was gäbe ich nur darum, nicht mehr von Dir abhängig zu sein.

Ich: Jetzt komm mal runter. Erstens waren Sommerferien und ich war nach der Zeit, die ich auch mit Dir verbracht habe mit den Kindern in Urlaub und zweitens zeichnest Du Dich gerade durch maximale Empathielosigkeit aus. Du hast doch selbst erlebt, wie stark meine Rückenschmerzen waren. Ich konnte mir ja nur mit Mühe die Schuhe zumachen.

die Schreibende: Erstens war die Zeit mit mir eine Zeit, die Du einen Somatic Performance Workshop mitgemacht hast, von dem vor allem Deine Arbeit und die Performance Künstlerin profitiert haben und danach, gut, da war eine Woche Zeit zu schreiben auf einer Hütte, aber die haben wir mit mitschreibenden Freundinnen von Dir geteilt. Zweitens hasse ich es, wenn Du einen auf Mitleid machst. Es ginge Dir sicher besser, wenn ich mehr zum Zuge käme.

Ich: Hey, die Somatic Performance Zeit war sehr wohl inspirierend für Dich. Und ob es mir besser ginge, wenn ich mich mehr Dir zuwenden würde, weiß ich nicht, sonst hätte ich es schon längst ausprobiert.

die Schreibende: So und Dir geht es besser, es ist wieder Alltag und trotzdem fehlt die Disziplin und der Fokus.

Ich: Mir geht es immer noch nicht gut und von mir aus gebe ich zu, dass mir deshalb die Disziplin und der Fokus fehlen. Du musst mich mit Deiner Wut ja nicht gleich vom Feld blasen. Wie wäre es denn mit Krisen sind Vorboten von Wandel?

die Schreibende: Dummes Geschwätz. Das kannst Du sonst wem erzählen, aber nicht mir.

Die Schreibende legt aber los, das gleicht einem Vulkanausbruch, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Ich habe mir meine Grenzerfahrungen, die mir mein Körper gerade zumutet, nicht ausgesucht. Ich verstumme. Was mir gerade noch bedeutsam erschien, scheint mir mal wieder belanglos.

Manchmal male ich mir aus, wie mein Leben ohne die Schreibende wäre. Ich könnte einfach meine Zeit, die frei von den alltäglichen Verpflichtungen ist, genießen, mich an den vielen Möglichkeiten des Seins erfreuen, sei es Bewegung in der Natur, das Sein mit Freunden oder kultureller Input, könnte selbst Bücher lesen, abtauchen, mit den Kindern Filme schauen und hätte nicht ständig diese Unruhe, dass ich mich wieder der Schreibenden zuwenden müsste. Aber es geht nicht. Es gelingt mir nicht. Sie ist hartnäckig, sie ist zäh, beharrlich, nimmt sich Raum, wenn es ihr möglich ist. Und wenn sie nicht von sich aus das Ruder an sich reißt, dann entsteht diese Unruhe in mir, das Gefühl, dass mein Kopf zerplatzt, weil mein Gehirn überhaupt nicht hinein passt, sondern darüber hinaus wabert. Die Schreibende rettet mich. Ohne die Schreibende hätte ich nicht überlebt, das ist mir bewusst. Ich kann nicht ohne die Schreibende. Und sie hat Recht, dass ich vermeide, ihr und mir ganz ungestört Raum einzuräumen, jenseits aller Verpflichtungen und Verführungen.

Ich glaube mir, wenn ich sage, dass ich in einer Krise bin und dass sich etwas wandelt. Dass es so langwierig und schwierig ist, hätte ich nicht gedacht. Manchmal bleibe ich im Überdruss stecken. Wie denn klarer durchgreifen, wenn ich die Schritte nicht sehe? Die, die ich sehe, gehe ich, vielleicht nicht konsequent genug.

Ich schaue der Schreibenden dabei zu, wie sie tippt. Das Geräusch des Tippens beruhigt mich. Es klingt wie eine Improvisation, bei der ich die Pausen genieße, um gespannt darauf zu warten, wie lange sich dann im Anschluss das Klackern und Klicken in den Raum hineingießt. Ich stelle mir vor, wie die Wörter magisch auf dem Bildschirm sichtbar werden. Klänge, die sich als Buchstaben in den Raum hineingießen. Ich kann, wenn ich lange lausche, die Anschläge unterscheiden, bilde mir ein, zu erkennen, wenn ihr Daumen auf die Leertaste springt, weil es anders klingt, als wenn ihre Finger die Tasten berühren, Buchstabe für Buchstabe. Manchmal in einer rasenden Geschwindigkeit, dann wieder innehaltend und suchend. Ich meine auch zu hören, wenn sie Wörter löscht, weil sie dann öfter hintereinander die gleiche Taste antippt, die dann ein Staccato wird, als würde sie Morsezeichen senden, die nur in einer anderen Welt verstanden werden. Zehnmal kurz. Das Gelöschte, ich stelle mir vor, wie es irgendwo aufgefangen und zu einer eigenen Geschichte komponiert wird. Das Lauschen passt zu meiner Stimmung.

Das könnte doch mein neuestes Narrativ werden. Alles Ungeschriebene, Unvollendete, Ungelebte, Geschrieben und nicht für Wert befundene, Gelöschte, in Gedanken kurz Aufscheinende und sich nirgendwo je Manifestierende, alles in den Traumwelten Hängende ist irgendwo aufgefangen, ist wie ein Nährboden, ein unendlicher Fundus. Es steht mir nicht nur in den Clouds der digitalen Welt zur Verfügung, sondern auch in den einzigartigen neuronalen Verknüpfungen meines Kopfes. Diese sind eben nicht auf meinen Kopf begrenzt, sondern schöpfen aus diesem unendlichen Fundus des kollektiven Unbewussten und der nicht fassbaren Welten. Wenn es soweit ist, entstehen daraus Erzählungen.

Ich habe einen Hang zu tröstlichen Narrativen, da kommt er wieder durch. Lieber phantastische Visionen als Apokalypse.
Ich habe einen Hang vertrauen zu wollen, in einer Welt, in der nicht alles gut ist. Und ich will es mir nicht vorwerfen lassen.
Für mich gibt es mehr, als entweder rede ich mir die Welt schön und negiere die durch den Klimawandel bevorstehende Katastrophen und die Pandemie, oder ich unterwerfe mich dem Diktum der maximalen Schlussfolgerung aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen, was ja in Bezug auf komplexe Zusammenhänge nicht komplett durchdekliniert werden kann. Auch das sei angemerkt, dass die maximalen Schlussfolgerungen in Bezug auf den Klimawandel und die Pandemie sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Den Klimawandel und die Pandemie habe ich hiermit den wissenschaftlich nachweisbaren Tatsachen zugeordnet, an der die Welt sich auf die eine und andere Art abarbeitet.
Das wäre auch noch eine lohnende Untersuchung. Wie verhält sich die Zustimmung zu den von der Mehrheit geteilten wissenschaftlichen Fakten beim Klimawandel und bei der Pandemie, als auch die Zustimmung zu den verschiedenen möglichen Handlungskonsequenzen in beiden Fällen.
Sind die Klimaskeptiker auch die Ungeimpften oder ist es gerade umgekehrt? Welche Schlüsse ließe das zu?

Ich würde mich gern mit der Schreibenden darüber austauschen. Aber ich muss wohl einen anderen Moment abpassen, wo ich ihr meine Gedanken zum unterschiedlichen Umgang mit dem Klima und der Pandemie in bezug auf Abwehr und diverse Narrative mit ihr gemeinsam untersuche.

Ich: Über was schreibst Du eigentlich gerade?

die Schreibende: Na über Narrative, Ideologien, Paradigmen und Mythen.

4 Gedanken zu “die Schreibende und ich 7

  1. Liebe Gabriele
    Dein inneres Psychodrama hat mich sehr berührt….Ich verstehe auch nicht warum ich meine Schreibende ständig so sträflich vernachlässige,hängen ,verhungern lasse und
    Ignoriere ,obwohl sie mir nie weh tut,es immer schön ist,wenn sie da ist und schreibt.
    Ja Disziplin fehlt mir, aber das ist es nicht allein. Faulheit….abzutippen….Zu ordnen….Vielleicht bin ich eher Eine mündliche Erzählerin, die einfach loserzählt,im Kleinen Kreis oder mal auf einer Bühne?, eine Erzählperformerin
    Die nicht weiss wo sie sich hinerzählen wird?
    Und wenn sie fertig ist,gibt es kein Buch,kein Skript, keine Noten, nur der Nachhall….in dem einen oder anderen…
    Lieben Gruß Susanne

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    • Liebe Susanne,
      wie schön, dass Dich die Schreibende angetroffen hat, wenn ich Sie schon so oft im Stich lasse.
      JA, vielleicht werden wir einfach Erzählperformerinnen, oder unsere Schreibenden tun sich häufiger zusammen 🙂
      Schönen Tag Dir

      Gabriele

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  2. Es braust, es tumultet, es poltert in dir, diese vielen Potentiale, Nöte, Seinszustände, kein Zustand das, ein BewegtSein, ständig, im Wandel. Wieviel Raum doch der Stift und das Tippen bekommt, ha, mehr als Du jetzt sehen kannst, mehr als auch schwarz auf weiß zu sehen ist, denn dein Boardcomputer fabuliert weiter, spinnt sich durch Gedankenspiele, entrinnt ihnen nicht und das Laufwerk pocht von Innen gegen die Kopfhaut und es möchte fließen. Hinausfliessen, damit die Buchstaben nicht herumirren müssen.
    Danke für deine Dialoge mit deiner Schreibenden. Ich wünsche eine Gute Nacht, Susan

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    • Bis in die Träume verirren sich die Buchstaben. Das Tröstliche lese ich aus Deinen Worten, ha, ja, unsere Neuronen feuern und beteuern, nichts anbrennen zu lassen. Also muss hin und wieder doch etwas abfliessen, sich entladen, damit drinnen Platz für Neukonfiguration ist. Hab Dank für Deine fabulierenden und spinnenden Gedanken Gabriele

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